Wer rastet, der rostet. Das gilt nicht nur für die körperliche Leistungsfähigkeit, auch der Kopf braucht „Bewegung“. Doch diese geistige Bewegung fehlt uns dank Fernsehen, Computern und Co. zunehmend. Die Warnungen vieler Neurobiologen vor kollektiver Verdummung sollten wir ernst nehmen – und mit Gehirntraining gegensteuern.
Wenn ich heute beim Bäcker um die Ecke am Tresen stehe, sehe ich vor meinem inneren Auge immer noch die Verkäuferin, die einst auf rosafarbenem Papier die Zahlenkolonnen blitzschnell aufaddierte. Ich habe damals öfter mal nachgerechnet – an ihre Zeit kam ich nicht heran, und einen Fehler konnte ich nie finden. Dank High-Tech-Waagen, die automatisch das Endergebnis „ausspucken“, entfällt heute das dutzendfache Addieren. Dieses Phänomen ist stellvertretend für viele: Die Mühsal des Kartenlesens nimmt uns das Navi ab. Die wichtigsten Telefonnummern sind nicht mehr in unserem Kopf, sondern in den Kontakten des Handys gespeichert. Intelligentes Autolicht entbindet uns vom Auf- und Abblenden bei Nachtfahrten … Die Werbung suggeriert uns den immensen Vorteil „Damit Sie den Kopf freihaben für anderes!“ – nur für was? In der Tat sind diese technischen Errungenschaften komfortabel. Aber sind sie auch gut für unser Gehirn?
Tatsächlich steigt der Anteil derer, die Medikamente einnehmen, um am Arbeitsplatz oder im Studium leistungsfähiger zu sein, wie im Gesundheitsreport der DAK-Gesundheit berichtet wird. In der Fachsprache nennt man das Neuro-Enhancement (engl. enhancement: Verbesserung, Steigerung) oder Hirndoping. Jeder kann aber ohne Tabletten, allein durch Gehirntraining und Optimierung der Lebensführung weit mehr an geistigen Leistungen aus sich herausholen als üblich. Essen und Trinken, Bewegung, Schlaf und Sinnesleistungen (Sehen, Hören, Gleichgewicht) üben nachweislich erheblichen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit aus:
Die Ernährung sollte eine abwechslungsreiche, vollwertige Mittelmeerkost sein mit vielen komplexen Kohlenhydraten und Omega-3-Fettsäuren. Gründliches Kauen ist wichtig. Die tägliche Trinkmenge sollte 2,5 Liter täglich (nicht bei Herz- oder Nierenschwäche) betragen.
Lern-Experimente haben gezeigt, dass sich bei einer mittleren Muskelanspannung die geistige Fitness erhöht. Ohne Muskelanspannung oder bei sehr starker Muskelanspannung ist die geistige Leistungsfähigkeit gering. Bereits Kaugummikauen oder Essen erhöhen die geistige Wachheit. Automatisierte Bewegungen wie Schreiben, Schwimmen, Radfahren, Spazierengehen vergrößern den Arbeitsspeicher akut um circa 20 Prozent gegenüber körperlicher Unbewegtheit. Um langfristig die geistige Leistungsfähigkeit zu fördern, ist bei schwacher Muskulatur eine Kräftigung anzustreben. Und je länger die körperliche Ausdauer, desto höher ist der IQ. Günstig ist deshalb, sich mehrmals pro Woche so zu bewegen, dass man schwitzt.
Nicht zuletzt wirkt sich ausreichender Schlaf (6–9 Stunden) positiv aus. Stress vor dem Schlafengehen, Alkohol, Koffein, manche Medikamente beeinträchtigen die Schlafqualität. Darunter leidet die mentale Fitness und die Vergesslichkeit nimmt zu. Im Schlaf festigen und ordnen sich Gedächtnis- und Lerninhalte oder auch Bewegungsabläufe.
Hörgeräte und Sehhilfen unterstützen bei Bedarf die Sinnesleistungen. Täglich mindestens drei Sekunden lang auf einem Bein stehen, erhält und trainiert das Gleichgewicht. Mit gezieltem Gehirntraining, geistiger Anregung, lebenslangem Lernen können Sie Ihre geistige Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten bzw. steigern – vor allem, wenn Sie beachten, dass das Gehirn Aufwärm-, Hochleistungs- und Abwärmphasen benötigt. Um aus einer Phase der Entspannung wieder in einen aktiven Zustand zu kommen, eignen sich einfache Aufgaben. Dazu gibt es Sammlungen in Büchern oder im Internet. Beispiel: Sie nehmen sich eine Zeitung und kreisen in einem Artikel alle Wörter ein, die ein „en“ enthalten. Beginnen Sie gemütlich und schreiten Sie in einer Ihnen angenehmen Geschwindigkeit fort. Eine mentale Hochleistungsphase dauert circa 30 bis 60 Minuten und sollte, wenn Unlust, Ermüdung oder Erschöpfung auftreten, beendet werden. Mit entsprechenden Übungen im Grenzbereich zur Überforderung lässt sich die mentale Leistungsfähigkeit nachhaltig steigern. Um das Gehirn wieder „herunterzufahren“, können Sie geistige Aktivitäten kontinuierlich verlangsamen und sich zweisilbrige Entspannungslaute innerlich vorsagen, z. B. RA-NE oder GA-MA.
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