Liebe Leserin, lieber Leser,
fragt man Medizinstudenten, woran sie beim Begriff „Naturheilkunde“ denken, fallen meist zuerst die Begriffe „Akupunktur“ und „Homöopathie“. Mit der übrigen Bevölkerung verhält es sich ganz ähnlich. Doch eigentlich liegen der Naturheilkunde Prinzipien zugrunde, die durchaus auch der Schulmedizin bekannt sind: Eliminatio, Substitutio, Directio und Stimulatio.
Die Eliminatio, das Meiden schädigender Faktoren, spielt für die Genesung eines chronisch Kranken, aber auch für die Gesunderhaltung eine wesentliche Rolle. Wir denken vor allem an den Verzicht auf Nikotin und Alkohol, die Beschränkung ungünstiger Fette oder eine Begrenzung der Glutenaufnahme. Konsequent durchgeführt würden diese Maßnahmen bereits zahlreichen Zivilisationskrankheiten den Garaus machen, oder zumindest ihre Häufigkeit deutlich reduzieren. Heilfasten, das Weglassen fester Nahrung, meint die Eliminatio par exellence.
Substitutio bedeutet: Überall dort, wo Mangel herrscht, wird dieser ausgeglichen. Die Rede ist etwa von Mineralstoffen und Spurenelementen wie Magnesium, Zink und Selen, aber auch Ballaststoffen, sogenannten sekundären Pflanzenstoffen, Vitamin B12, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D. Viele Menschen weisen ein mehr oder weniger deutliches Defizit auf. Das behindert Stoffwechsel wie Immunsystem und begünstigt Krankheiten. Zum Glück sind wir heute in der Lage, Mangelzustände durch entsprechende Präparate auszugleichen.
Die Directio erinnert schon begrifflich an das Dirigieren. Und in der Tat: Gestörte Prozesse sollen in die „richtige Spur“ gelenkt werden. Hier kommen Wärme und Kälte zum Einsatz, beispielsweise in Form von Licht- und Luftbädern, aber auch durch warme und kalte Wickel, welche die Durchblutung anregen. In der traditionellen chinesischen Medizin regen wir den Energiefluss durch Akupunktur und/oder Moxibustion (Erwärmung bestimmter Punkte des Körpers) an. Das Credo lautet: Hemmen, wo Überreizung besteht. Aktivieren, wo energetische Leere herrscht. Und schließlich die Stimulatio, das gezielt anregende Prinzip. Neben körperlicher Betätigung und moderatem Sport zählen Kneippsche Anwendungen mit ihren Warm-Kalt-Reizen, aber auch Klimakuren zu den klassisch therapeutischen Mitteln. Schonklima in waldreicher Mittelgebirgslage entlastet das Herz-Kreislauf-System. Höhenlagen mit ihrem niedrigen Luftdruck helfen dem Niederdruckler eine bessere Zirkulation zu erzielen. Der Allergiker fühlt sich im Reizklima an der See mit seiner Allergenarmut besonders wohl oder in großer Höhe.
Pflanzenheilkundliche Maßnahmen können sowohl das Prinzip der Substitutio, als auch das der Directio und Stimulatio bedienen. Je nachdem, was wir anregen und unterstützen wollen. Denken wir an die zahlreichen verdauungsfördernden Präparate, etwa Bitterstoffpräparate für Leber-Galle, Magen und Bauchspeicheldrüse, oder an den Herz-Kreislauf unterstützenden Weißdorn.
Kurzum: Diese stets gültigen Prinzipien der Naturheilkunde sollten allesamt auch Konzept der Schulmedizin sein. Aller Erfahrung nach wäre die Orientierung an den „ewigen Vier“ weitaus besser als bloße Symptomunterdrückung. Allerdings muss auch klar gesagt werden: Bei schwersten Verletzungen oder für hochbetagte Menschen, wenn Selbstheilung nicht mehr möglich ist, greifen die Prinzipien der Naturheilkunde nicht richtig. Dann ist Substitutio „auf schulmedizinisch“ gefragt.