Liebe Leserin, lieber Leser,
von Zeit zu Zeit finden sich in (schul)medizinischen Fachzeitschriften Artikel, die sich mit der Frage befassen, warum Menschen alternative Heilverfahren wie etwa Homöopathie und Akupunktur in Anspruch nehmen und dafür auch noch Geld bezahlen. In Studien sei die Wirksamkeit der Methoden doch nie belegt worden, heißt es. Von „Paramedizin“ ist die Rede. Mögliche Heilerfolge? Alles Placebo!
Nun haben norwegische Forscher unter der Leitung von Dr. Trine Stub erneut nach Gründen für die Wirksamkeit der Komplementärmedizin gesucht und kamen zu folgenden Ergebnissen: Patienten, die sich mit alternativen Methoden behandeln lassen, fühlen sich mit ihren Therapeuten „enger verbunden“ und von diesen „stärker ernst genommen“ als unter schulmedizinischer Behandlung. Außerdem nehme sich der Alternativmediziner mehr Zeit und verstehe es oft besser, „die Selbstheilungskräfte der Patienten“ anzuregen. Deswegen, so die Autoren, solle man die Medizin „generell eher als Ritual“ auffassen, zu dem neben der eigentlichen Behandlung auch die „Interaktion zwischen Arzt und Patient“ beitrage.
Nichts Neues also. Kennen wir alles, wissen wir alles. Haben wir schon zur Genüge gehört. Ich frage mich nur: Was hindert denn die wissenschaftliche Medizin daran, sich dem Patienten gegenüber ähnlich zu verhalten? Gebührenordnungen? Kommunikationsprobleme? Fehlende schauspielerische Ausbildung?
Wenn einem Arzt angesichts einer einfachen Arthrose nicht mehr einfällt als Ibuprofen, künstliches Gelenk und ein charmantes „Denken Sie mal an Ihr Alter!“, wenn sich die medizinische Kreativität bei einem erhöhten Gesamtcholesterin(!) in Statinen erschöpft und bei einem Reizdarm in der Empfehlung „Essen Sie, was Ihnen bekommt“, dürfte die Akzeptanz dieser Vorschläge sehr begrenzt sein. Da kann sich der Weißkittel noch so viel Zeit nehmen, und die Atmosphäre so freundlich gestalten, wie er nur will. Sicher: Auch im Bereich alternativer Heilverfahren existiert unseriöse „Paramedizin“ und manchmal nicht zu knapp. Doch diese abwertende Einordnung kann sicher nicht für zum Teil jahrhunderte- oder jahrtausendealte Heilkunde gelten, die ihre Wirksamkeit – Studienlage hin oder her – in der Praxis immer wieder unter Beweis gestellt hat.
Auf der anderen Seite hat auch die Schulmedizin schon etliche, höchst suspekte Konzepte verfolgt – und dann still und heimlich wieder verschwinden lassen. Die Osteoporosebehandlung mit Fluoridpräparaten: In den 1990er Jahren vehement als Stand der Wissenschaft angepriesen, steigerte die Knochendichte signifikant mit dem Ergebnis deutlich erhöhter Bruchanfälligkeit. Die bis 2001 aggressiv propagierten Zweiphasen-Hormonpräparate für die Wechseljahre, die sich als krebsfördernd erwiesen. Die fragwürdigen Behandlungen mit Digitalis bis in die 1980er Jahre unter dem Motto: „Ab 50 muss man was fürs Herz tun.“ Die speziell in Deutschland gern durchgeführte „Knorpelglättung“ per Arthroskopie (laut Studien nicht wirkungsvoller als Placebo). Die jahrelange Übertherapie leichterer diabetischer Stoffwechsellagen mit dem Ergebnis gefährlicher Unterzuckerungen … Und außerdem: Weder Chemotherapie, noch Impfungen sowie zahlreiche Methoden der Chirurgie und anderer medizinischer Fächer sind durch „placebokontrollierte, multizentrische, randomisierte Doppelblindstudien“ belegt. Die Richtigkeit der Tatsache, dass die und der 75-Jährige heute im Schnitt über sieben chemische Medikamente pro Tag einnehmen schon gar nicht. Alles Paramedizin?
Mit Grüßen an Trine aus Tromsö,
Dr. med. Rainer Matejka