Liebe Leserin, lieber Leser,
um die Kuhmilch ist es ruhig geworden. Über Generationen galt sie jahrzehntelang als Kultgetränk, Energielieferant und Wachstumsförderer (man denke an die Schulmilch!). Gegen Ende des 20. Jahrhunderts dann wurde ihr Gesundheitsnutzen zunehmend in Zweifel gezogen. Und schlimmer: Fortan geriet sie als Allergietreiber in Verruf. Krankheiten wie Neurodermitis wurden als „milchbedingt“ gesehen, wobei das konsequente Vermeiden des Getränks tatsächlich manchmal deutliche Besserung bringt, keinesfalls aber „immer“. Milchkonsum, hieß es auf einmal, sei schon deshalb vollkommen abwegig, weil kein Tier die Milch einer anderen Art trinke – und dies über das Säuglingsalter hinaus. Teilweise entbrannten ob dieser Frage heftige ideologische Streitigkeiten. Viele Ernährungswissenschaftler plappern allerdings bis heute unverdrossen weiter: Ein hoher Milch- und Milchproduktkonsum gewährleiste die Kalziumversorgung. Unentbehrlich für die Knochen!
Nun hat sich ein etablierter Wissenschaftsjournalist intensiv mit der Studienlage zum Stellenwert der Milch für unsere Ernährung auseinandergesetzt. Demnach befürworten vor allem jene Studien den Milchverzehr, die auch von der Milchindustrie finanziert wurden. Neutrale Untersuchungen zeigen weniger günstige Ergebnisse. Und – ähnlich wie im pharmakologischen Bereich – lässt man Forschungsresultate, die nicht im Sinne der Auftraggeber sind, gern mal in der Schublade verschwinden …
In den letzten Jahren hat es nun auch etliche industrieunabhängige Untersuchungen über die Milch gegeben. Die renommierte Harvard Universität veröffentlichte z. B. Ergebnisse, die besagen, dass eifriger Milchkonsum zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr nicht vor Knochenbrüchen im höheren Alter schützt. Bei Männern wurden sogar negative Effekte beobachtet. Eine Studie aus dem schwedischen Uppsala zeigt: Frauen, die viel Milch konsumieren, weisen ein stark erhöhtes Risiko für Knochenbrüche, insbesondere Schenkelhalsfrakturen auf. Bekannte deutsche Ernährungswissenschaftler hatten schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Kalziumaufnahme aus der Milch aufgrund des hohen Eiweißgehaltes eher begrenzt ist, bzw. ein hoher Proteinkonsum die Kalziumausscheidung über den Urin fördert und somit die Gesamtbilanz verschlechtert. Ein zentrales Problem des Milchverzehrs zeigen weitere Studien: Milch ist ein „Wachstumsgetränk“, dessen Aufnahme schon deshalb bei Erwachsenen höchst fragwürdig ist. Der Eiweiß- und Kalziumgehalt der Kuhmilch liegt um ein Mehrfaches höher als der von Muttermilch und ist somit für den Menschen nicht physiologisch. Wachstumsanregend wirkt der Faktor IGF-1. Dieser und die übermäßigen Milchproteine beschleunigen nicht nur Wachstumseffekte, sondern über das Molekül mTOR auch Alterungsvorgänge. Tatsächlich weisen Daten darauf hin, dass regelmäßiger Milchkonsum zu einer erhöhten Sterblichkeit führt. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch eine höhere Krebsrate. Zumindest sollen Menschen mit Laktoseintoleranz und daher zwangsläufig geringem Milchkonsum seltener an Krebs erkranken. Diese Korrelationen sind sicher noch keine Beweise, aber sie stimmen nachdenklich.
Sollte man deshalb alle Milchprodukte meiden? Es gibt auch eine gute Nachricht: Bei fermentierten Milchprodukten wie Joghurt, Käse oder Kefir zeigen sich Hinweise auf eine längere Lebenserwartung. Es wird vermutet, dass dies an den Milchsäurebakterien liegt, die den erwähnten IGF-1 offenbar abbauen. Eine differenzierte Betrachtungsweise ist also einmal mehr der beste Weg!