Die Liebe ist Ihr wahres Selbst
Foto: Karin & Uwe Annas/Adobe Stock
Bewusstsein

Die Liebe ist Ihr wahres Selbst

Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer, Facharzt für Allgemeinmedizin

Alles in uns möchte sich verbinden und geliebt fühlen. Erst mit der Erfüllung dieses tiefsten Bedürfnisses wird der Mensch fähig, selbst zu lieben. Aber wir können uns nur mit anderen verbinden und uns zeigen, wie wir wirklich sind, wenn wir Frieden mit uns geschlossen haben.

Emotional verletzende Beziehungserfahrungen, die unseren Grundbedürfnissen nach Zugehörigkeit, Wertschätzung und Willkommensein zuwiderlaufen, prägen unser Selbstbild durch die Geschichten, die wir uns – mehr oder weniger bewusst – ständig selbst erzählen. Vor allem, wenn sie zu unserer vermeintlichen inneren Wahrheit werden, und wir das glauben, was wir uns selbst oder andere über uns erzählen oder erzählt haben. Oder wenn wir unser Selbstbild aus den Rollen erschließen, welche uns in der Kindheit zugewiesen wurden.

Aber wir sind nicht unsere Geschichten, und unsere Vergangenheit bestimmt nicht unsere Zukunft, sofern wir nicht an diesen alten Begebenheiten festhalten. Um uns wirklich zu lieben, müssen wir uns unserem ganzen Wesen öffnen. Wollen wir uns wirklich selbst lieben, ist es unverzichtbar, unsere Überzeugung, dass wir uns grundlegend bessern müssten, um liebenswert zu sein, in Frage zu stellen. Wenn wir uns verstellen und versuchen, dem zu entsprechen, was allgemein als normal gilt, schwindet unsere Fähigkeit zu lieben. Wenn wir aber mutig gegen unsere alten Ängste und Vermeidungsstrategien angehen, werden wir wachsen und lernen, bedingungslos zu uns selbst zu stehen und uns so anzunehmen, wie wir wirklich sind.

Wer sich als geistiges Wesen erkennt, das in der unbedingten Liebe gründet und sich mit ihr verbindet, ist frei und kann sein Leben angstfrei als Ausdruck und Verkörperung der Liebe gestalten. Er kann tun, was ihm wirklich entspricht, ihm Freude macht und sinnerfüllende Zufriedenheit verschafft – und er muss nicht mehr um sich selbst kreisen. Die Erinnerung an seine wahre Identität hat ihn von der Anklagebank des bedingten Selbstwertes befreit. Er lebt ganz gegenwärtig. Es ist ihm egal, was andere von ihm denken; er tut, was im Augenblick Sinn macht als Ausdruck der Liebe, die er im Kern seines Wesens ist.

Was trägt uns in Krisen, die unweigerlich zu jedem Leben gehören, in einer Welt, in der nichts sicher ist außer dem steten Wandel und dem Tod? Wonach strebt der Mensch, welche Bedürfnisse hat er und was braucht er in seiner Tiefe wirklich? Auf diese Frage haben die drei großen Wiener Psychologen unterschiedlich geantwortet: Nach Sigmund Freud (1856 – 1939) geht es dem Menschen um die Befriedigung der Lust (und um Vermeidung von Unlust). Alfred Adler (1870 – 1937) widersprach und meinte, dem Menschen gehe es um Macht und Kontrolle, also um das Beweisen seines Selbstwertes. Nach Viktor Frankl (1905 – 1997) drücken diese beiden Motive bereits den Verlust von Sinnerleben aus, denn er sah den Menschen vor allem als Sinnverwirklichung suchendes Wesen. Auch meiner Meinung nach geht es dem Menschen um seine Würde als Person, um den Wunsch, zu lieben und sich emotional zugehörig, willkommen und verbunden zu fühlen und seinen sinnvollen Beitrag zu leisten.

Dass wir geliebte Wesen sind, ist die Grundwahrheit unseres Daseins. Wenn wir dieser inneren Stimme vertrauen, sind wir frei von Angst und in Frieden. Aber diese sanfte Stimme wird in einer lauten Welt leider von Stimmen übertönt, die uns weismachen wollen, nichts zu taugen, wertlos oder unnütz zu sein. In jedem von uns wohnt die Stimme der Liebe. Ob wir sie Seele nennen wollen oder innere Weisheit, unser Höheres oder Wahres Selbst, unseren inneren Führer, inwendigen Lehrer, Tröster oder Ratgeber, unser inneres Licht oder den göttlichen Funken, die Stimme von Gott – dieser innere Gefährte ist voller unbedingter Liebe und kann uns in den Frieden, die Verbundenheit und an den Ort des Glücks in uns selbst führen. Und dieser Teil unseres Geistes weiß, dass wir alle eins und verbunden sind. Er verurteilt nicht, sondern liebt bedingungslos. Wir können in jedem Moment neu wählen, die Welt durch die Augen der Angst oder die Augen der Liebe zu sehen. Unsere Wahrnehmung ist nur ein Spiegel unseres eigenen Geisteszustandes, keine Tatsache. Je öfter wir auf die Stimme der Liebe hören und sie bei allen Entscheidungen achtsam um Hilfe bitten, desto angstfreier und friedvoller werden wir.

 

Heilende Liebe erfahren

Wenn wir in die Stille gehen und der Stimme der Liebe in unserem Geist lauschen
sowie ihre Antworten mit offenem Herzen hören, werden wir lernen,
wirklich zu sehen, diese befreiende und heilende Liebe erfahren
und in ihren tiefen Frieden zurückkehren:

Ich bin ein Kind der Liebe.
Ich lebe aus der tiefen inneren Erfahrung eines bedingungslos geliebten Menschen.
So wie ich bin, bin ich recht.
Ich brauche mir keine Sorgen zu machen.
Ich brauche mich nicht anzutreiben und zu hasten.
Ich lebe voller Vertrauen und in der Liebe verwurzelt,
und teile meine erfahrene Liebe dankbar mit der Welt.