Liebe Leserin, lieber Leser,
dass Körper, Geist und Psyche sowie deren Prozesse miteinander zusammenhängen, ist hinreichend bekannt. Wie eng diese Verbindung jedoch ist, machen wir uns selten bewusst. Für die Macht der Vorstellungskraft und ihren Einfluss auf körperliche Mechanismen ist die sogenannte Zitronenübung aus dem Autogenen Training ein eindrucksvoller Beleg. Nach einer Phase der geistigen Entspannung visualisieren wir eine Zitrone. Wir stellen sie uns möglichst detailliert vor – optisch und haptisch: ihr leuchtendes Gelb, die Beschaffenheit ihrer Schale. In unserer Fantasie nehmen wir die Frucht in die Hand und riechen an ihr. Schließlich schneiden wir sie gedanklich auf, sehen den Saft aus dem prallen Fruchtfleisch tropfen und beißen im Geiste herzhaft in sie hinein. Sofort können wir zwei reelle körperliche Reaktionen ausmachen: Wir verziehen das Gesicht und zugleich wird unser Speichelfluss stark angeregt. Eines von zahlreichen Beispielen dafür, dass unser Gehirn zwischen Vorstellung und Realität nicht zu unterscheiden weiß.
Die Verknüpfung von Körper und Seele sehen wir auf erstaunliche Weise in einem gravierenden psychiatrischen Krankheitsbild gespiegelt: dem der dissoziativen Identitätsstörung (früher: multiple Persönlichkeitsstörung). Menschen, die schwerste frühkindliche, meist gewaltsame Traumata erlitten haben, verteilen diese unerträgliche Bürde gewissermaßen, indem sie verschiedene „Innenpersonen“ ausbilden. Darunter verstehen wir Persönlichkeiten unterschiedlichen Alters und Geschlechts mit eigenen Vorlieben, Abneigungen, Werten und Gedächtnisinhalten. Je nachdem welcher Innenanteil gerade präsent ist, erleben Außenstehende nicht nur einen ganz individuellen Charakter, es sind auch frappierende physiologische Unterschiede und medizinische Parameter sicht- wie messbar: So kann eine Persönlichkeit Links-, die andere Rechtshänder sein. Die eine hat Diabetes, während die andere bilderbuchhafte Blutzuckerwerte aufweist. Eine sieht wie ein Luchs, die andere hat 1,5 Dioptrien. Schmerzempfindlichkeit, Handschrift, Muskeltonus, Blutdruck, im EEG abgebildete Hirnströme können mit der jeweiligen Persönlichkeit stark variieren – alles in einem Körper. Sogar abweichende Schuhgrößen werden berichtet.
Welchen Nutzen können wir aus derartigen Erkenntnissen ziehen? Wenn die psychische Verfassung, die Vorstellungskraft und Fantasie solch starke Auswirkungen auf unser körperliches Erleben haben, lohnt es sich zu jedem Zeitpunkt, auf unsere Seele aufzupassen. „Psychohygiene“ heißt das Zauberwort, das all jene Maßnahmen zusammenfasst, die dem Schutz unserer Psyche dienen. In einer Zeit, in der uns die Medien mit oft kritischen Narrativen überfluten, dürfen wir genau hinsehen und entscheiden: Was tun wir uns und somit Körper, Geist und Seele an, und worauf verzichten wir lieber. Wer klug entscheidet, betreibt „Frühjahrsputz“ für die Psyche.
Von Herzen alles Liebe
Verena Ariane Grein,
Heilpraktikerin für Psychotherapie,
Redaktionsleitung Naturarzt