Liebe Leserin, lieber Leser,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Fällt mir ein Werbeprospekt einer Kureinrichtung in die Hände, in dem ständig nur von Vitalität, Fitness, Aktivität, Dynamik, Wellness und Beauty die Rede ist, sinkt mein Interesse auf den Nullpunkt. Nicht etwa deshalb, weil ich diese Dinge für unsinnig halte oder sie ablehne, sondern ganz einfach, weil heutzutage fast jeder mit genau diesen Begriffen und Schlagworten wirbt, so daß sie kaum noch ein Unterscheidungskriterium darstellen. Ganz ähnlich verhält es sich im Kurwesen. Gab es früher den typischen Kurort für Nierenkranke, einen anderen für Magen-Darm-Kranke, einen dritten für Leber-Galle-Kranke, und – ich habe mir sagen lassen – Bad Pyrmont soll das Bad der „unverstandenen Frauen“ gewesen sein, wirbt heute nahezu jeder Kurort mit einer Fülle von Indikationen. Man verliert den Überblick: Wohin gehe ich denn nun am besten?
Mit dem deutlichen Rückgang der von den Krankenkassen bezahlten Kuren seit Mitte der 90er Jahre, bemühen sich Kurorte durch vielfältige Aktionen, die Selbstzahler-Klientel anzusprechen. Man hat dabei den Eindruck, sämtliche Kurorte arbeiteten mit der gleichen Marketing-Argentur zusammen, denn die Slogans sind immer wieder ähnlich: „Gesundheit tanken“, „Vitalität“ erfahren, Spaß und Unterhaltung für die ganze Familie, und gleichzeitig soll auch die „Seele baumeln“ können. Man fragt sich nur, wo denn die Seele in Ruhe baumeln soll, wenn auf der anderen Seite Unterhal-tungsremmidemmi für Familien mit Kindern angeboten wird. Hier kommen Dinge zusammen, die sich z. T. ausschließen. Entweder der Schwerpunkt liegt auf Angeboten für Familien oder man bringt zur Abwechslung einmal den Mut auf, mit dem zu werben, was den meisten Menschen fehlt: Ruhe!
Deutschland und Österreich offerieren ein derart umfangreiches Angebot an Kurorten wie niemand sonst auf der Welt. Durch mißbräuchliche Nutzung und ungerechtfertigte Gewährung, vor allem in den 80er und in der ersten Hälfte der 90er Jahre, ist das Kurwesen etwas in Verruf geraten („morgens Fango – abends Tango“). Doch richtig angewandt, hat die Kur einen nachgewiesenen gesundheitlichen Nutzen, der nicht ohne weiteres durch Behandlungsmaßnahmen am Wohnort erreicht werden kann.
Die Besonderheiten eines Kurortes, die sich aus seinem Klima, der Bodenbeschaffenheit, Luft und Sonneneinstrahlung, dem Vorhandensein des Waldes oder Heilwässern ergeben, machen ihn häufig zu einem Unikat. Viele der im Kurort eingesetzten Verfahren sind klassische Naturheilverfahren.
Einzig beim Thema Ernährung hapert es oft – den Kriterien der gesunden Ernährung wird häufig Hohn gesprochen. Wird dies noch optimiert, kann auch in der heutigen Zeit die richtig verstandene Kur eine wertvolle Maßnahme zur Gesunderhaltung und Rehabilitation sein. Dabei sollte der einzelne nicht nur immer nach der Kasse rufen, die alles zahlt, sondern auch einmal überlegen, ob er nicht einen Urlaub oder Kurzurlaub in einem Kurort verbringt.
Entgegen dem verbreiteten Vorurteil, Kurorte seien langweilig und nur etwas für „alte Leute“, handelt es sich fast durchweg um sehr gepflegte Orte in schönen landschaftlichen Gegenden mit oft vielfältigen kulturellen Angeboten. Allein dies trägt schon ein Stück zur Gesundung bei und bietet einen wohltuenden Kontrast zur Anonymität vieler Großstädte mit Graffiti-verschmierten Häuserwänden.
Mit besten Grüßen