Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist gut, daß immer mehr Menschen Interesse an Fragen der Gesundheit zeigen. Und es ist ebenfalls positiv, daß sie nicht nur ergeben für bare Münze nehmen, was Mediziner sagen. Auf dieser Basis entwickelte sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein Markt für Selbstbehandlungen. Dementsprechend nahm die Zahl der „Anbieter“ gewaltig zu. Seit einigen Jahren fallen Angebote auf, die brauchbaren Hausmitteln, exotischen Pflanzen oder angeblichen apparativen Neuentwicklungen sagenhafte Heilwirkungen gegen alles und jedes zuschreiben.
Die Werbestrategen gehen nach immer dem gleichen Schema vor: Zunächst wird behauptet, es handele sich um etwas völlig Neues, auch wenn es sich lediglich um eine Variante bekannter Verfahren handelt. Beliebt ist der Hinweis, das Verfahren komme aus den USA. Dies suggeriert Modernität und „Weltspitze“. Auch dem Therapeuten wird eingeredet, er müsse das neue Verfahren oder die neue Substanz unbedingt kennenlernen, denn die Heilerfolge seien sensationell.
Nicht nur Allerweltserkrankungen wie Verdauungsprobleme oder Muskelverspannungen ließen sich damit behandeln, sondern faktisch „alles“. Selbst bei schweren neurologischen oder bösartigen Erkrankungen eröffnen sich angeblich ungeahnte Therapien, und man macht sich als Therapeut schuldig, wenn man nicht auf der Stelle diese revolutionären Verfahren einsetzt.
Selbstverständlich existieren Bücher, in denen Menschen ihre unendliche Dankbarkeit gegenüber den Pülverchen-, Saft- und Tablettenherstellern aussprechen. Kritisches Nachfragen ist nicht erlaubt: Man sei wohl von der Pharmaindustrie gekauft, die die Einführung neuartiger revolutionärer Methoden verhindern will, weil sie Umsatzrückgänge befürchte.
So oder ähnlich läuft es jedesmal ab. Tatsächlich erstaunt immer wieder, wie erfolgreich die Marketingstrategien der Anbieter sind, sprechen doch nach kurzer Zeit etliche Zeitgenossen über das jeweilige Thema oder haben bereits eigene Erfahrungen damit gemacht. Interessant dabei: Am Anfang wirken die Verfahren laut Patientenberichten in Einzelfällen prächtig, nach kurzer Zeit fühlen sich Betroffene „nicht schlechter als vorher“ und schließlich – wenn der Neuigkeitswert nachgelassen hat – verebben die Erfolgsmeldungen allmählich, und das Verfahren verschwindet weitgehend aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit.
Auch gegenüber Therapeuten fällt eine bemerkenswerte Guru-Gläubigkeit auf. Ein bestimmter Heiler – so erfuhr ich – verabreiche jedem Patienten die gleiche Spritze. Was darin sei, verrate er nicht, das sei sein „Betriebsgeheimnis“.
Wie man sich vorstellen kann, ist ein solcher Therapeut überlaufen, denn Guru-Glaube ist weit attraktiver als rationale Medizin. Und tatsächlich, die Erfolge klingen beeindruckend: Beim einen verschwand ein hartnäckiges Afterjucken nach mehreren Spritzen, eine andere fand wochenlang anhaltende Linderung bei rheumatischen Beschwerden, auch wenn danach Akne-artige Hautreaktionen auftraten. Bei einem dritten besserte sich ein Heuschnupfen nebst allergischem Ekzem, und es trat nach jeder Behandlung eine psychische Stimmungsaufhellung auf. Ein Schalk, wer dabei denkt, es handele sich womöglich um eine Cortisonspritze …
In der vorliegenden Ausgabe unserer Zeitschrift führen wir ein Interview mit einem in diesen Fragen bewanderten Apotheker, der über einige der häufigsten Machenschaften berichtet. Unser Ziel ist nicht, alles Neue von vornherein abzulehnen und als unseriös einzustufen. Es geht darum, das Bewußtsein zu schärfen. Denn nur Wissen erlaubt Urteilsfähigkeit.