Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Krankheiten, deren Wahrscheinlichkeit aufzutreten davon abzuhängen scheint, wie intensiv das Thema in den Medien diskutiert wird. Alle Jahre erleben wir – meist kurz vor der Jahreswende – reißerische Berichte über heranrollende Grippe-Epidemien. Prompt nimmt die Zahl derjenigen zu, die übliche Erkältungssymptome und Zeichen eines grippalen Allgemeininfektes aufweisen.
In den letzten Monaten ist nun urplötzlich – so scheint es wenigstens – eine ganz neue Erkrankung entstanden, die vor allem Flugreisende befällt: das sogenannte „Economy-Class“-Syndrom (siehe auch Bericht Seite 31). Dabei treten gehäuft Thrombosen auf, teilweise sogar tödlich verlaufende Lungenembolien. Grund seien vor allem das beengte Sitzen bei Langstreckenflügen in Kombination mit falscher Ernährung, Flüssigkeitsmangel und verändertem Luftdruck. Erstaunlich, daß diese Erkrankung erst jetzt von sich reden macht, angesichts der bereits seit Jahren sprunghaft steigenden Fluggastzahlen.
Welche Gegenmaßnahmen können helfen? Der Streit mancher Vielreisender, welche Fluggesellschaft denn nun die Beste sei und welche man unbedingt meiden müsse, erscheint müßig: Ist doch die Bestuhlung bei allen Gesellschaften gleich eng, die Verständlichkeit der Lautsprecherdurchsagen gleich miserabel und die Demonstration der Sicherheitseinrichtungen gleich lächerlich.
Mediziner raten, man solle viel Wasser trinken, am besten jede Stunde einen Viertelliter. Ich frage mich nur, wie das Bordpersonal in einem überfüllten Flugzeug das bewältigen soll. Am besten also, man bringt gleich selbst seine Eineinhalbliter-Flaschen Mineralwasser mit. Das nächste Problem: die Toiletten. Von vornherein in den meisten Flugzeugen zu wenig vorhanden, findet man sie, wenn es besonders dringend wird, auch noch „out of order“ vor. Schließlich der geniale Rat, alle 15 Minuten aufzustehen und im Gang auf- und abzugehen. Wie das ablaufen soll, wenn 400 Menschen in einer 747 ständig auf- und abgehen, möchte ich einmal erleben. Unwillkürlich denkt man an den legendären Loriot-Sketch, in dem er die absurde Enge einer Flugzeugkabine beschreibt.
Praktikabler dagegen: Vor Antritt des Fluges gegebenenfalls eine ASS 100 Tablette (Acetylsalicylsäure zum Beispiel in Form von Aspirin 100®, ASS ratiopharm® 100) einnehmen, bei stark thrombosegefährdeten Patienten (vor allem solchen, die bereits ein entsprechendes Ereignis in der Vorgeschichte aufweisen) auch die Heparinspritze. Aus naturheilkundlicher Sicht können Roßkastanienpräparate helfen. Zusätzlich sind Kompressionsstrumpfhosen und Arnika-Fluid-Gel zum Einreiben für die Beine hilfreich. Wenn schon Auf- und Abgehen nicht möglich ist, kann wenigstens am Sitzplatz Fußkreisen- oder -wippen durchgeführt werden. Bei der Ernährung sollte man das Durcheinander vermeiden, mindestens aber die blähende süße Nachspeise weglassen.
Falls einen Fluggast trotzdem ein Unwohlsein überkommt, ist meist ein Arzt an Bord. Zyniker sagen, er sei leicht zu erkennen: Es ist die Person, die sich nach dem Ausrufen am tiefsten duckt. Weiß der Arzt doch, was ihn erwartet: ein insuffizient bestückter Bord-Notfallkoffer, hilfloses Personal und willige „Helfer“, die die engen Gänge versperren. Fasziniert kann man dann erleben, wie aus einem banalen Kreislaufkollaps einer jungen Frau, der mit „Beine hochlegen“ und ein paar Camphertropfen rasch zu behandeln gewesen wäre, ein Notfall mit Verdacht auf Thrombose entsteht, der eine Zwischenlandung erfordert mit bereits auf dem Rollfeld wartendem Rettungswagen.