Liebe Leserin, lieber Leser,
wer sich vor Krankheit schützen will, kann versuchen, Risikofaktoren konsequent zu beseitigen. Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung stellen eine entscheidende Grundlage dar. Die Beachtung ordnungstherapeutischer Kriterien mit regelmäßigen Phasen der Muße und Entspannung im Sinne der altgriechischen „Diaita“ verstärken den Effekt. Viele plädieren zudem für ein „positives“ Denken.
Doch all diese Maßnahmen bleiben bruchstückhaft, wenn nicht eine andere sehr wesentliche Grundvoraussetzung im Leben erfüllt ist: Sinnfindung. Eine Umfrage unter Berufstätigen zeigt, daß mehr als die Hälfte der Deutschen ihren Beruf nur mit wenig Begeisterung, um nicht zu sagen, einem gewissen Desinteresse ausüben. Mehr als „Dienst nach Vorschrift“ komme deshalb bei vielen nicht zustande. Hierdurch entstehe ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe einer zweistelligen Milliarden Euro-Summe jährlich, da nur ein Teil der theoretisch möglichen Leistungskraft erreicht werde. Ob mangelnde Sinnfindung im Alltag durch eifrigen Besuch von Ver-gnügungsparks, Show- und Unterhaltungsangeboten oder sonstigen Ablenkungen wettgemacht werden kann, ist mehr als zweifelhaft.
Sicherlich sind viele Menschen, ohne es direkt so zu formulieren, auf der Suche nach einer Tätigkeit, die ihrem Leben Sinn gibt. Vor Jahrzehnten bereits stellte man im Industriebereich fest, daß Fließbandarbeit die Psyche belastet. Meines Wissens war es die Firma Volvo, die als erste die Fließbandarbeit in der herkömmlichen Form abschaffte und fortan komplette Autos von einzelnen Arbeitsgruppen zusammensetzen ließ. Der einzelne Mitarbeiter konnte somit hautnah sehen, was er am Tag geleistet hatte und war nicht nur ein anonymes Rädchen in einem unüberschaubaren Getriebe.
Häufiger als andere Berufsgruppen scheinen Mitarbeiter und Beamte von Behörden frühzeitig „fertig“ zu sein. Ich führe dies darauf zurück, daß gerade diese Berufsgruppen oft womöglich blödsinnige Anordnungen „von oben“ umsetzen müssen und keinerlei kreative Gestaltungsmöglichkeiten haben.
Ein kluger Lebensberater erteilte vor einigen Jahren in seinem Buch den sicherlich einleuchtenden Rat, um Sinnfindung im Leben zu erreichen, solle man andere Menschen „glücklich“ machen. Mag sein, daß der exzessive Zulauf zu Helferberufen (Sozialpädagogen, Ärzte, Physiotherapeuten etc.) seit Mitte der 70er Jahre in dieser intuitiven Erkenntnis eine Ursache hat. Auf der anderen Seite wurden die bürokratischen Bevormundungen gerade für die Helferberufe immer mehr ausgeweitet, so daß viele, die einst mit hehren Absichten starteten, inzwischen tief enttäuscht sind und am liebsten alles hinschmeißen würden, wenn sie die Chance dazu hätten – jedenfalls gilt dies für zahlreiche Vertragsärzte. Dies bestätigen ebenfalls Umfragen.
Allen Menschen ist daher ein ihren Neigungen gemäßes Aufgabenfeld zu wünschen, das Freiraum für eigene Ideen und Ansätze läßt. Dies erscheint mir eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für Gesundheit überhaupt zu sein.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes neues Jahr.