„Vor knapp eineinhalb Jahren bekam ich nach einer Zahnbehandlung das Antibiotikum Clindamycin®, worauf ich sehr massiv mit bis zu 20 Durchfällen pro Tag reagierte. Ich verlor acht Kilogramm an Körpergewicht. Zunächst wurden die Clostridien, die im Darm überhand genommen hatten, mit Metronidazol, einem weiteren Antibiotikum bekämpft. Anschließend nahm ich zum Aufbau der Darmflora Bakterienpräparate ein, allerdings ohne Erfolg. Im anschließenden Untersuchungsmarathon wurden eine Fruktose-, Sorbit- Laktose- und Glutenintoleranz festgestellt, sowie jede Menge Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Seit knapp einem Jahr meide ich nun alle unverträglichen Nahrungsmittel. Die Durchfälle wurden weniger. Inzwischen lebe ich mit einer Rotationsdiät und esse abwechselnd Hirse, Mais, Quinoa und Reis, immer zusammen mit etwas Gemüse. Mein Stuhl ist weiterhin breiig und ich wiege nur 47 Kilo. Seit einem halben Jahr nehme ich Milchsäure-Bakterien ein. Sehen Sie noch eine weitere Therapiemöglichkeit?“
Sie haben ja eine wahre Odyssee an diagnostischen Verfahren hinter sich. Eine antibiotische Behandlung führt nicht selten zu Durchfällen mit Darmentzündungen, einer sogenannten antibiotika-assoziierten Colitis, die bei Ihnen völlig korrekt behandelt wurde. Die Beschwerden sollten danach verschwunden sein. Da dies bei Ihnen nicht der Fall war, kann nur mit einer sehr sorgfältigen Diagnostik eine erfolgversprechende Behandlung eingeleitet werden. Ihre Untersuchungsunterlagen lassen allerdings noch Fragen offen.
Mir ist nicht klar, wie es zur Diagnose der Fruktose-, Sorbit-, Laktose- und Glutenintoleranz kam. Im Stuhl war der recht spezifische Glutaminasewert zwar erhöht, der viel sensiblere Gliadinwert jedoch im Normbereich. In einer Kontrolluntersuchung waren dann beide Werte in Ordnung, so dass mir Ihre Glutenintoleranz zweifelhaft erscheint.
Fruktose-, Sorbit- und Laktoseintoleranz sind im Blut getestet worden, doch üblicherweise erfolgt die Diagnose anhand von Provokationstests. Dabei nimmt man eine größere Menge des Stoffes ein, und in stündlichen Abständen werden die Werte entweder im Blut oder im Atem gemessen. Ohne solche Tests würde ich die Diagnosen nicht stellen wollen.
Die Ergebnisse der Bluttests auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten muss man kritisch betrachten: Nach meinen Erfahrungen – und ich wende diese Tests häufig an – sind nur etwa die Hälfte der als unverträglich getesteten Nahrungsmittel tatsächlich nicht verträglich. Deshalb muss man hier zusätzlich mit einem Selbstversuch in Form eines Auslass- und Provokationstests prüfen, welche Lebensmittel man letztendlich nicht verträgt. Dazu wird ein verdächtiges Lebensmittel mindestens fünf Tage weggelassen und dann wieder zugeführt. Man beobachtet während der nächsten fünf Tage, ob Beschwerden auftreten. Anschließend erfolgt eine erneute Provokation mit fünf Tagen Beobachtung. Nur wenn wiederholt nach der Zufuhr des verdächtigen Lebensmittels innerhalb von zwei bis drei Tagen Beschwerden wie Durchfall oder Blähungen auftreten, kann man von einer Nahrungsmittelunverträglichkeit sprechen. Dieses Lebensmittel sollte dann konsequent gemieden werden. Leider sehe ich immer wieder, dass aufgrund solcher nicht richtig interpretierter Tests den Patienten wertvolle Lebensmittel vorenthalten werden.
In den bei Ihnen durchgeführten Stuhluntersuchungen konnten eine Bauchspeicheldrüsenschwäche, Parasiten sowie eine Darmentzündung ausgeschlossen werden, jedoch weist die Stuhlflora immer wieder auf Fäulnis hin. Dies spricht für eine Störung in der Fett- oder Eiweißverdauung. Danach wurde aber bei Ihnen nicht gefahndet. Ich empfehle daher dringend eine Stuhluntersuchung auf Ausnutzung – dabei sollten Fette und Fettsäuren getrennt werden (was leider nur wenige Labore durchführen) –, Fett quantitativ sowie Gallensäuren (siehe auch Naturarzt 5/2009: Artikel zum Gallensäurenverlust-Syndrom, das erhebliche Beschwerden bereitet, aber einfach zu behandeln ist).
Ebenfalls kommt aus meiner Sicht eine Gallenfehlfunktion (Gallendysfunktion) als Ursache der Beschwerden in Frage. Daran ist zu denken, wenn der Stuhl eher hell ist und fette Speisen nicht gut vertragen werden.
Von der mikrobiologischen Therapie halte ich sehr viel (etwa zur Vorbeugung und Therapie von Reisedurchfällen sowie zur Immunmodulation bei Colitis ulcerosa usw.). Sie hat das Ziel, die Besiedlung des Darmes mit Keimen zu erhalten oder wiederherzustellen und das darmassoziierte Immunsystem zu modellieren. Dazu können lebende oder abgetötete Mikroben, deren Zellwandbestandteile oder Stoffwechselprodukte gegeben werden oder auch Nährstoffe, die das Wachstum der für uns vorteilhaften Bakterien fördern. Durch die positive Beeinflussung des gesamten Immunsystems werden auch die anderen Regelkreise in unserem Organismus profitieren. Dadurch werden nicht nur die Symptome einer Krankheit behandelt, sondern der ganze Mensch.
Von der alleinigen Gabe bestimmter Bakterien, die in der Stuhlflora als zu niedrig nachgewiesen werden, halte ich jedoch äußerst wenig, da meist eine mikroökologische Störung des Darmes zugrunde liegt, die zuerst behandelt werden muss. Erfolgt die Behandlung der Störung nicht, können mit den Bakterienpräparaten langfristig keine Erfolge erzielt werden. Ich bezeichne dies gern spöttisch als „Kamele in die Antarktis“ bringen: Wenn ich jeden Tag ein Schiff mit Kamelen in die Antarktis bringe, habe ich dort ständig eine Schiffsladung von Kamelen, aber auch nicht mehr, weil diese am nächsten Tag gestorben sind. Wenn sich diese Tiere dort ansiedeln sollen, muss ich die ökologischen Bedingungen so gestalten, dass sie Überlebenschancen haben, beispielsweise die Temperatur erhöhen und Sand hinbringen. Dies ist bei Bakterien im Darm – und damit in Ihrer Situation – nicht anders.