Liebe Leserin, lieber Leser,
ein Buchautor behauptet, zahlreiche moderne Erkrankungen seien „Erfindungen“ interessierter Kreise, um durch im Grunde überflüssige Diagnostik und Therapie entsprechend „Profit“ zu machen. Ich fürchte, der Mann hat Recht. Ich denke sofort an die Osteoporose und die vor einigen Jahren fast flächendeckend durchgeführten fragwürdigen Knochendichtemessungen. Oder an die neuerdings empfohlenen Blutdruckzielwerte von 120/80, die faktisch bedeuten würden, daß eine Mehrheit der Bevölkerung Blutdrucksenker schlucken müßte.
Zum Zweiten fand sich im „Deutschen Ärzteblatt“ unter dem Titel „Konkurs der ärztlichen Urteilskraft?“ eine bemerkenswerte Abhandlung über die moderne Medizin mit Ihrer schon als naiv zu bezeichnenden Gläubigkeit an wissenschaftliche Studien. Die Autoren weisen schlüssig nach, daß auch die modernste Studie keineswegs eine Aussage für die Ewigkeit erbringt, sondern stets das Risiko eines falschen Resultates beinhaltet.
„Wegen hoher Kosten“, heißt es im Ärzteblatt, „wandert die klinische Forschung zunehmend in die Domäne der pharmazeutischen Industrie ab, wo sie Zulassungs- und Marketinginteressen gehorcht.“ Und weiter: „Verlierer sind dagegen Therapien ohne Aussicht auf breite Vermarktung (zum Beispiel Physiotherapien, Kreativtherapien, Psychotherapien, chirugische Verfahren, manuelle Therapien)“. Und man könnte anfügen: die gesamte Palette der Naturheilverfahren.
Deswegen gilt: Leitlinien nach den Kriterien der „evidence based medicine“ – also der durch Studien „erwiesenen“ Therapien – sind hilfreich, ersetzen aber nicht das logische und intuitive Denken des Therapeuten. Selbstverständlich können auch Verfahren effektiv sein, die ihre Wirksamkeit bislang nicht nach heute geforderten Standards bewiesen haben.
Etwas ganz anderes bietet wohltuenden Kontrast zum oft nervtötenden Streit mit Wissenschaftstheoretikern: Im Pfälzer Wald wurden zufällig im Sommer 1989 Überreste einer ehemaligen Prießnitz-Walddusche entdeckt. Der damalige Bürgermeister Josef Götz begann Anfang 1991 mit zahlreichen freiwilligen Helfern die völlig von Erde, Laub und Ästen verschüttete Walddusche auszugraben und in weit über 1000-stündiger ehrenamtlicher Arbeit zu restaurieren. Zu diesem Zweck mußten über 500 Kubikmeter Erde und Mauertrümmer beseitigt werden. Aus dem vorhandenen Steinmaterial wurde die Walddusche, soweit möglich, originalgetreu rekonstruiert. Mitte 1996 konnte sie wieder in Betrieb genommen werden. Sie stellt die einzige diesbezügliche Anlage ihrer Art in Deutschland dar.
Das Wasser hat konstant im Sommer und Winter eine Temperatur zwischen 9 und 11°C. Durch die relativ starke Wucht der Dusche wird diese Kälte kaum als solche empfunden. Wer es einmal ausprobiert hat, wird bestätigen: Eine solche Walddusche stellt Naturheilkunde in ihrer ursprünglichen Ausprägung dar. Die kalte Abduschung bewirkt eine reaktive Mehrdurchblutung, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch aufmöbelt. Diese Therapie wirkt, was oft vergessen wird, im wahrsten Sinne ganzheitlich: Organisch und psychosomatisch, grobstofflich und feinstofflich. Wer es nicht glaubt, sollte es ausprobieren: In Gleisweiler in der Pfalz befindet sich die Walddusche, im nahegelegenen Bad Gleisweiler, einer der klimatisch bevorzugten Regionen Deutschlands, kann man Mammutbäume und Bambus bewundern. Naturheilkunde pur – und kein Bürokrat kann dreinreden.