Liebe Leserin, lieber Leser,
vor einiger Zeit nahm ich an einer Universitätsveranstaltung zu Darmerkrankungen teil. Dabei legten mehrere Referenten den Schwerpunkt auf das Thema „Reizdarm“. Der allgemeine Tenor war, daß es sich um eine komplizierte Erkrankung handele: Viele Patienten würden häufig den Arzt wechseln, obgleich die Krankheit selbst eigentlich harmlos sei.
Einige Referenten betonten den psychosomatischen Charakter der Erkrankung und vertraten die Auffassung, eine psychosomatische Therapie sei entscheidend, zumal in der Regel kein „organisches Korrelat“ zu finden sei. Letzteres stimmt nach neuesten Erkenntnissen allerdings nicht. Mit genaueren Untersuchungen lassen sich nämlich in der Darmwand oft vermehrt Entzündungszellen aufspüren.
Ein Gastroenterologe stellte sich den Fragen der Zuhörer, die sich aus Ärzten, Studenten und medizinisch interessierten Laien zusammensetzten. Nahezu jede Antwort begann er mit der Formulierung: „Aufgrund der Datenlage…“ Man hätte ihn eigentlich fragen sollen, ob er denn auch über eigene Erfahrungen verfüge oder ob er nur „Datenlagen“ aus irgendwelchen medizinischen Statistiken referieren könne! So ist es leider heute an vielen Universitäten: Eigene Meinungen und Erfahrungen werden abgeschliffen – zugunsten eines vermeintlichen medizinischen „Mainstreams“ (Lehr- oder Mehrheitsmeinung) oder aus Angst, einen Ruf zu verlieren.
Es dauerte Stunden, bis auf der besagten Veranstaltung zum ersten Mal das Wort „Ernährung“ im Zusammenhang mit Reizdarm fiel. Die ernährungswissenschaftliche Fachliteratur zeigt jedoch – und die praktische Erfahrung bestätigt dies durchaus –, daß das Weglassen als unverträglich erkannter Nahrungsmittel durchschnittlich bereits eine 50prozen-tige Besserung nach sich zieht. Die „Hitliste“ unverträglicher Nahrungsmittel führen Milch, verschiedene glutenhaltige Getreidesorten wie Weizen und Hafer an, aber auch Nüsse, Pilze, Kaffee, Eier und Früchte. Es geht also querbeet durch den „Gemüsegarten“.
Das Herausfinden unverträglicher Nahrungsmittel im Einzelfall kann dauern. Zunehmend ermöglichen uns Laboruntersuchungen genauere Aussagen, etwa zur Verträglichkeit von glutenhaltigem Getreide, Fruchtzucker, etc. Der „Auslaßversuch“, also das gezielte Meiden des verdächtigen Nahrungsmittels auf Zeit, bringt zusätzliche Aufklärung, wenngleich es ohne Geduld nicht geht.
Die Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln begründet aber noch nicht, warum der einzelne hierauf empfindlich reagiert. Die Ursache besteht vermutlich in einem wie auch immer überlasteten Magen-Darm-Trakt. Dabei spielen Schleimhautentzündungen, die oft sehr dezent verlaufen, eine Rolle. Letztendlich kommt ein kompliziertes Geflecht organischer und psychischer Faktoren zusammen. Dies zu entwirren ist oft eine Detektivarbeit, für die in unserem Gesundheitswesen in der Regel die Zeit fehlt.
Wenn man aber konsequent „am Ball bleibt“ und mit einer mehrspurigen Therapie verschiedene mögliche Ursachen berücksichtigt, ist mit einer Besserung zu rechnen. Es verhält sich beim Reiz-darm ähnlich wie an der Börse: Man muß zwar stets Rückschläge einkalkulieren, mittel- und langfristig kann man aber mit einem Aufwärtstrend rechnen.
Mit besten Grüßen