Naturheilkundlich orientierte Patienten stehen schulmedizinischen Arzneimitteln oft skeptisch gegenüber. Andere Kranke haben eher übersteigerte Erwartungen. Viele Vorurteile beruhen auf mangelnder Information. Um hier Klarheit zu schaffen, stellen wir in loser Folge die am häufigsten verordneten Arzneimittel vor. Diesmal:

Antidepressiva

Dr. med. Volker Schmiedel

Antidepressiva erhöhen die Konzentration bestimmter „aufhellender“ Botenstoffe im Gehirn (z. B. Serotonin, Noradrenalin). Bei der Fortleitung von Nervenimpulsen im Gehirn werden diese Substanzen in den sogenannten synaptischen Spalt zwischen zwei Nervenzellen ausgeschüttet, docken an einem anderen Nerven an und übertragen so einen Impuls. Danach werden sie wieder in die Nervenzelle aufgenommen. Antidepressiva behindern die Rückaufnahme der Botenstoffe, so daß diese länger und intensiver wirken. Achtung: Bis die Medikamente die volle Wirkung entfalten, können unter Umständen mehrere Wochen vergehen. Viele Depressive setzen Antidepressiva oft nach wenigen Tagen entmutigt ab, weil „sie ja doch nicht wirken“.

Aufputschend oder dämpfend? Die Wirkung beobachten!
Neben depressiven Erkrankungen werden Antidepressiva auch bei langfristiger Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes eingesetzt.

Über die antidepressive Wirkung hinaus haben Antidepressiva auch noch andere Effekte, die teilweise erwünscht, teilweise aber auch unangenehm und manchmal sogar gefährlich sein können. Antidepressiva wirken unter anderem auch anxiolytisch (angstlösend), sedierend (beruhigend), stimmungsaufhellend und aktivierend. Die sedierende und die aktivierende Wirkung scheinen sich zu widersprechen. Tatsächlich überwiegt bei einigen Mitteln die sedierende, bei anderen die aktivierende Wirkung. Manche Mittel beinhalten beide Fähigkeiten in etwa gleichem Ausmaß und es ist vom Individuum abhängig, welche Wirkung stärker zum Tragen kommt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß der verordnende Arzt bei depressiven Patienten mit Selbstmordgefahr sehr sorgfältig das richtige Mittel auswählt oder die Notwendigkeit einer stationären Behandlung prüft: Falls die aktivierende vor der antidepressiven Wirkung des Medikaments einsetzt, kann der Patient hierdurch den letzten Antrieb für seinen Selbstmord erhalten.

Im Gegensatz zu Tranquilizern (Beruhigungsmitteln, siehe auch Naturarzt 5/2003) machen Antidepressiva praktisch nicht abhängig. Trotzdem greifen viele Menschen lieber zu Tranquilizern, weil damit auch ihre Probleme „zugedeckt“ werden, wehren sich jedoch gegen die Einnahme „richtiger“ Psychopharmaka, wie den Antidepressiva, obwohl diese ihnen unter Umständen mit weniger Nebenwirkungen viel besser helfen könnten. Gerade bei Schmerzpatienten (z. B. mit Fibromyalgie) treten gehäuft irrationale Ängste vor der Einnahme von Antidepressiva auf, die manchmal kaum zu überwinden sind.

Ich möchte damit keineswegs einem zu sorglosen und großzügigen Umgang mit Antidepressiva das Wort reden. Wenn jedoch an Menschen aufgrund massiver Befindlichkeitsstörungen über Jahre mit kostspieligen, nebenwirkungsreichen und letztlich oft erfolglosen Therapieversuchen herumgedoktert wird, dann sollte auch irgendwann einmal eine – zumindest vorübergehende – Medikation mit Antidepressiva erwogen werden. Aus der modernen Schmerztherapie sind diese Mittel nicht mehr wegzudenken, da mit ihnen eine wirklich effektive Schmerzlinderung oder aber eine Ein-sparung von – mitunter auch nicht ganz nebenwirkungsarmen – Schmerzmitteln oftmals erst möglich wird.

Die „Rote Liste“ 2004 enthält allein 71 tri- und tetrazyklische Antidepressiva. Dabei sind verschiedene Darreichungsformen (Tropfen, Tabletten, Zäpfchen, Ampullen) und Dosierungen sowie andere Antidepressiva (z. B. MAO-Hemmer, Serotoninwiederaufnahmehemmer) noch nicht berücksichtigt.

Den Artikel zu dieser redaktionellen Einleitung finden Sie in der Naturarzt-Druckausgabe 6/2005