Christoph Wagner

Drei Schwestern helfen der Blase

Preiselbeere, Bärentraube, Cranberry Eine Mehrheit der Frauen und schon viele Mädchen haben Erfahrung mit Blasenentzündungen: Brennen beim Wasserlassen, ständiger Harndrang, häufige Entleerung sehr geringer Harnmengen. Hauptsache es kommt nicht noch schlimmer, denn die Entzündung kann sich ausweiten. Spätestens wenn Fieber auftritt, raten Ärzte zur Einnahme von Antibiotika, manche aber auch schon früher. Doch die Entzündungen kehren häufig wieder. Was dann? Vielleicht können die Preiselbeere und ihre Schwestern helfen. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Preiselbeere sind verwirrend. Sie gehört zur Familie der Heidekrautgewächse (Ericaceae), und davon wiederum zur Gattung der Heidelbeeren (Vaccinium), die alleine etwa 450 Arten umfaßt. Zu ihr gehören unter anderem – die Heidelbeere (Vacc. myrtillis) – die Preiselbeere (Vacc. vitisidaea) – die Moorbeere (Vacc. uliginosum) – die hiesige Moosbeere (Vacc. oxycoccus), – die amerikanische Moosbeere (Vacc. macrocarpon), genannt "Cranberry". Dieser Name wiederum wird gelegentlich als "Preiselbeere" übersetzt. Cranberry-Extrakte werden in Deutschland daher teils als "Preiselbeerextrakt", teils als "Moosbeerenextrakt" verkauft. Und um die Verwirrung komplett zu machen: Was die Amerikaner als Highland Cranberry (Hochland-Moosbeere) bezeichnen, ist unsere Bärentraube (Arctostaphylos uvaursi). Sie ist nicht nur die große Heilpflanze für die Blase, sondern auch mit der Preiselbeere sehr eng verwandt. Die Preiselbeere ist ein 10 bis 30 cm hoher Halbstrauch, sie blüht hellrosarot von Mai bis Juli. Ihre festen, glänzenden, immer grünen Blätter haben umgekehrte Eiform. Sie sind an der Unterseite braun punktiert – und das ist der entscheidende Unterschied zur Bärentraube. Als typische Wildfrucht gedeiht die Preiselbeere am besten an ihren natürlichen Standorten – in Nadelwäldern, Hochmooren, Heiden –, das heißt: in Deutschland kaum noch. Bis vor 50 Jahren war sie zahlreich verbreitet, heute findet man sie fast nur noch in Naturschutzgebieten. Nicht nur als Marmelade zu Wild, Forelle oder Camembert Wir kennen die Preiselbeere als Marmelade zu Wild, Forelle oder überbackenem Camembert. Im Reform- und Naturkosthandel sind diverse Muse und Marmeladen zu bekommen, auf einem Produkt steht werbend "pflegt Magen und Darm". Solche Hinweise finden sich auch in älteren Kräuterbüchern, leider aber nichts Näheres dazu. Apotheker Mannfried Pahlow empfahl den Kompott als appetitanregendes Mittel, vor allem für Kinder: 1 bis 2 Teelöffel etwa eine halbe Stunde vor den Hauptmahlzeiten. Der Blättertee galt vor allem als wirksames Mittel gegen Blasenentzündungen. Für etwa 80 Prozent der Harnwegsinfekte sind Escherichia coli-Bakterien verantwortlich. Diese Darmbakterien sind im Kot enthalten, "wandern" vom After zur Harnröhrenöffnung und dann die Harnröhre hinauf. Da bei Mädchen und Frauen zum einen der Abstand zwischen After und Harnröhrenausgang geringer, zum andern die Harnröhre selbst kürzer ist als bei Männern, haben sie häufiger unter dem Problem zu leiden. Pflanzenheilkundler empfehlen dann antibiotisch wirkende Pflanzen: – Kapuzinerkresse und "Gewürzdrogen" wie Meerettich oder Liebstöckel – Bärentraubenblätter. Bei der Kapuzinerkresse haben sich Fertigarzneimittel bewährt: Angocin AntiInfekt® Filmtabletten (hier ist sie mit Meerettich kombiniert) oder Nephroselect® (mit Liebstöckel sowie mit harntreibenden Pflanzen). Bärentraubenblätter sind ebenfalls in standardisierter Form verfügbar: zum Beispiel Cystinol® akut oder Uvalysat® Bürger-Dragees. Doch auch heute noch ist durchaus der Tee zu empfehlen: 1 bis 2 Teelöffel Blätter werden mit 1/4 l Wasser 12 bis 24 Stunden kalt ausgezogen. Mit heiß aufgebrühtem Kamillentee zusammengegossen ergiebt sich ein trinkfertiges entzündungshemmendes, entkrampfendes und antibakterielles Getränk. In vielen typischen Blasentees sind die Bärentraubenblätter mit wassertreibenden Pflanzen wie Birke, Schachtelhalm oder Brennessel kombiniert. Der Arzt und Botaniker Rudolf Fritz Weiss, eine Art "Vater" der modernen deutschen Phytotherapie, hatte sich Gedanken über Alternativen zur Therapie mit Bärentraubenblättern gemacht. Zum einen, weil diese Droge überwiegend importiert wurde – bei uns ist sie geschützt –, zum anderen, weil nicht alle Patientinnen sie vertrugen. Dies lag vor allem am starken Kochen der Blätter, wobei zuviele Gerbstoffe frei wurden. Jedenfalls entdeckte Weiss die Blätter der Preiselbeere. Sie enthalten zwar vom eigentlichen Wirkstoff Arbutin nur etwa zwei Drittel soviel wie die Bärentraubenblätter, und müssen daher höher konzentriert werden. Dafür sind sie besser verträglich und schmecken weniger unangenehm, denn sie enthalten 70 Prozent weniger Gerbstoffe. Auch wenn die Frage der Verträglichkeit zufriedenstellend geklärt wurde: Arbutinhaltige Drogen, also auch Preiselbeerblätter, sollten nicht länger als acht oder zehn Tage genommen werden. Schwangere, Stillende und kleine Kinder müssen auf arbutinhaltige Drogen verzichten, beziehungsweise dürfen sie nur auf ausdrückliche Verordnung des behandelnden Arztes einnehmen. Für sie scheint die amerikanische Schwester der Preiselbeere Hilfe zu bieten: die Cranberry. Die Beere enthält kein Arbutin, ihr antibiotisches Wirkprinzip ist ein anderes. Substanzen im Cranberry-Saft, sogenannte Anthocyane oder Proanthocyanidine, hindern die Bakterien daran, "Häkchen" auszubilden, mit denen sie sich an Zellen des Harntrakts hängen. Diese Anti-Adhärenz-Wirkung führt dazu, daß die Keime leichter mit dem Urin ausgespült werden können. Cranberry unterstützen eine antibiotische Therapie Cranberry-Saft, Konzentrat oder Tabletten können in der akuten Phase begleitend zu den vom Arzt verschriebenen Medikamenten genommen werden. Sie ergänzen und unterstützen die Wirkung von Antibiotika. Besser noch: Saft oder Extrakt der Cranberry könnten, zum Beispiel in Kombination mit Angocin oder Nephroselect, einen Weg bieten, durch Nachbehandlung und Vorbeugung die wiederholte Anwendung synthetischer Antibiotika zu vermeiden. Nach wiederholter Zystitis wird eine drei bis sechswöchige Kur als Schutz vor Reinfektion empfohlen. Die Mengenangaben schwanken von 50 bis 400 ml Saft täglich. Für Lutschtabletten machen die Hersteller Angaben, die sich am Gehalt an Anthocyanen orientieren. Säfte und Tabletten sind in Reformhäusern, Apotheken und im Versandhandel (auch Internet) zu bekommen. Die Indinianer Nordamerikas sollen Cranberry-Saft vielfältig genutzt haben, zum Beispiel zum Auswaschen von Wunden. Die Einwanderer haben sich dieses Wissen zunutze gemacht. Und mehr als 300 Jahre später, als die modernen Goldgräber auf Nahrungsergänzungsmittel als Einnahmequelle stießen, begann auch die Wissenschaft sich mit der Cranberry zu beschäftigen. Aber nicht nur aus den USA, sondern auch aus Skandinavien, wo Preiselbeeren und Moosbeeren noch weit verbreitet sind, stammen Studien – und Präparate.