Liebe Leserin, lieber Leser,
auf die Frage nach den großen lebensverkürzenden Risikofaktoren unserer Zeit werden neben ausgeprägtem Übergewicht und Nikotinkonsum meist Bluthochdruck und Diabetes genannt. Ein anderes Problem betagter Menschen wird dagegen oft bagatellisiert: der Schwindel. Bei alten Menschen handelt es sich seltener um typischen Drehschwindel oder den in den letzten Jahren oft beschriebenen Lagerungsschwindel, sondern eher um einen Zustand der Unsicherheit, den man im Hamburger Raum oft als „Tüdeligkeit“ bezeichnet. Vor allem nach dem Aufstehen aus einem Sessel müssen sich betagte Menschen oft erst einmal „festhalten“. Ärztlich wird diese Problematik nach Ausschluss schwerwiegender „struktureller“ Erkrankungen am Herz-Kreislauf-System oder Gehirn vielfach als „altersbedingt“ abgetan, wogegen man nicht viel machen könne.
Eine HNO-ärztliche Fachgesellschaft hat jetzt für diesen altersbedingten, oft schleichend beginnenden und ungerichteten Schwindel den etwas komplizierten Begriff „Presbyvestibulopathie“ (PVP) eingeführt. Typisch sind zunehmende Stand- und Gangunsicherheit, Schwindel und wiederholte, zunächst kleinere Stürze. Nicht selten kommen Einbußen bei der Denk- und Merkfähigkeit hinzu. Und dieses Geflecht verschiedener Teilsymptome hat es in sich: Es kann zu vorzeitigem Tod führen.
Folgender Teufelskreis ist möglich: Durch weniger Bewegung verschlechtert sich der Gleichgewichtssinn immer mehr. Dadurch verstärken sich Schwindel und Gangunsicherheit. Jetzt kommt Angst hinzu, z. B. vor möglichen Stürzen, dann Vermeidungsverhalten mit zunehmender Immobilität und sozialem Rückzug. Betroffene nehmen zum Beispiel nicht einmal mehr an kleineren Ausflügen in der Gruppe teil. „Was soll ich denn da rumwackeln…“
Da der Gleichgewichtssinn nun immer weniger trainiert wird, verschlechtert sich die Situation weiter und es tritt ein, was eigentlich vermieden werden sollte: ein hohes Risiko für schwere Stürze. Sie können oft Pflegebedürftigkeit oder Tod bedeuten. Der ältere Mensch hat einen anderen körperlichen Schwerpunkt als der jüngere. Während dieser oft „nach vorne“ stürzt, geschieht dies beim betagten Menschen oft zur Seite oder nach hinten. Ein Schenkelhalsbruch oder sogar schwere Schädel-Hirn-Verletzungen können die Folge sein.
Ein fachübergreifendes Expertengremium fordert daher, Schwindelbeschwerden älterer Menschen genauso ernst zu nehmen und frühzeitig zu behandeln wie Bluthochdruck. Dann kann der beschriebene Teufelskreis zumindest teilweise in umgekehrter Richtung beschritten und der fatalen Inaktivität und sozialen Isolation entgegengewirkt werden. Wichtig ist vor allem aktivierendes Gleichgewichtstraining mit „kognitiver“ Beanspruchung, dazu Präparate, die Durchblutung und Stoffwechsel im Gehirn und Innenohrbereich verbessern. Schulmedizinisch werden Kombipräparate mit schon lange bekannten Substanzen wie Cinnarizin und Dimenhydrinat empfohlen. Naturheilkundlich kann man an Ginkgo oder verschiedene homöopathische Kombipräparate denken. Auch eine gute Vitamin-B12-Versorgung stärkt den Gleichgewichtssinn. Ganz wichtig aber: nicht-entzündlich bedingter Schwindel braucht Bewegung. Sofern noch möglich, kann zum Beispiel Tischtennis besonders geeignet sein. Es fördert den Gleichgewichtssinn.