Liebe Leserin, lieber Leser,
in einer mehrjährig angelegten Studie haben Forscher herausgefunden, der Antibiotikaver-brauch in Rheinland-Pfalz und im Saarland liege signifikant höher als im übrigen Bundes-gebiet! Wieder einmal läuft es nach einem üblichen Schema: Eine kostenintensive Studie hat etwas festgestellt. Wie man diese merkwürdigen Ergebnisse begründen kann, das weiß allerdings niemand. Die Experten spekulieren herum und überlegen, ob „möglicherweise ein erhöhter Bedarf“ oder „eine erhöhte Verordnungsneigung ortsansässiger Ärzte“ eine Rolle spielt. Sicherlich wird beides irgendwo eine Rolle spielen.
Auch sonst bemerken wir ja im Gesundheitswesen eigenartige regionale Unterschiede. Man hat das Gefühl, vor allem diejenigen Leistungen werden besonders häufig nachgefragt und erbracht, die es reichlich im Angebot gibt: In Regionen mit zahlreichen Psychosomatikern und Psychologen wird deutlich häufiger die Diagnose Depression gestellt. Dort, wo es zahlreiche moderne bildgebende Verfahren wie MRT (Kernspin) und deren Varianten gibt, werden diese häufiger in Anspruch genommen. Auch die Zahl von Herzkathetern oder Gelenkoperationen ließen sich als Beispiele anfügen – und vieles andere mehr.
Bleiben wir bei den Antibiotika: Arzneimittelexperten, aber nicht nur sie, werfen Ärzten gelegentlich vor, sie würden viel zu häufig Antibiotika verordnen. Der Vorwurf ist sicherlich zunächst einmal berechtigt: Vor rund 100 Jahren sollen etwa 90 % aller Infektionen bakteriell bedingt gewesen sein. Dort wäre also eine Indikation für Antibiotika häufig gegeben gewesen. Damals gab es jedoch noch keine Antibiotika, und viele Menschen mussten an Krankheiten, etwa einer Lungenentzündung, sterben. Heute sollen rund 90 % aller Infektionen viralen Ursprungs sein. Dabei sind Antibiotika eigentlich kontraindiziert, eher unspezifisch immunstärkende Verfahren wären der bessere Weg – und da bietet die Naturheilkunde eine ganze Menge.
Im Prinzip sehen das auch die Experten so. Warum läuft es trotzdem anders? Es ist wieder einmal die ärztliche Realität. Zum Beispiel diese: Eltern bringen ein fieberndes Kind in die Krankenhausambulanz mit der nachdrücklichen bis vorwurfsvollen Forderung, es müsse jetzt „endlich etwas passieren“. Das Kind habe schon den zweiten Tag Fieber. In der Regel wird es dann zu einer sofortigen Antibiotikaverordnung kommen, nur um nichts zu versäumen. Dabei wissen wir, gerade bei Kindern begünstigen häufige Antibiotikaverordnungen die Infektanfälligkeit. Es ist immer auch eine Frage des Informationsstandes der Eltern, wie man in solchen Fällen verfährt oder anders ausgedrückt: Nicht das Kind, sondern die Eltern sind oft das Problem.
Es gibt aber eine fast umgekehrte Situation: Menschen, zumal betagte, die sich wochenlang mit einer Infektion herumplagen, allerlei Hausmittel einsetzen, aber es wird nicht besser, im Gegenteil. Aus panischer Angst vor Antibiotika und deren Nebenwirkungen versuchen sie, unbedingt „ohne“ auszukommen. Auch dies kann falsch sein, denn ein geschwächtes Immunsystem gerade beim alten Menschen ist oft nicht mehr imstande, einen Infekt von selber auszukurieren. Hier kann es dann schon sinnvoll sein, ein Antibiotikum zu verordnen, um wenigstens die bakterielle Seite einer Infektion zu beeinflussen.
Alles in allem zeigen diese Beispiele: Es kommt auf der Suche nach dem richtigen Weg einmal mehr auf den Einzelfall an.
Mit besten Grüßen
Ihr Dr. med. Rainer Matejka