Liebe Leserin, lieber Leser,
schaut man sich die Geschichte der Ernährungswissenschaft über die vergangenen Jahrzehnte an – es ist auch die Geschichte diverser Irrtümer und Kehrtwendungen.
Ballaststoffe wurden Anfang der 1980er Jahre oft noch als unerheblich eingestuft. Später erkannte man, sie regulieren nicht nur die Verdauung, sondern spielen auch eine wichtige Rolle für den Stoffwechsel.
Immer wieder galt Fett aufgrund seiner Kalorienzahl als Hauptdickmacher. Die Empfehlung zu einer fettarmen Kost ist bis heute anzutreffen. Dabei zeigen Studien und auch die Praxis, dass die konsumierte Fettmenge oft keine messbare Auswirkung auf das Körpergewicht entfaltet. Zucker bzw. zuckerartige Stoffe, lange Zeit als harmlos eingestuft, werden dagegen mehr und mehr als problematisch im Zusammenhang mit steigendem Körpergewicht gesehen.
Reichlich „Geeiere“ zeigt die Ernährungswissenschaft auch beim Thema Eiweiß. Man betont, wie wichtig hochwertiges Eiweiß sei, u. a. deshalb werden Milchprodukte empfohlen – Nahrungsmittel, deren Konsum in vielen Teilen der Welt unüblich ist und es bis vor rund 100 Jahren (zumindest in diesem Umfang) auch bei uns war. Zudem konsumiert der Durchschnittsbürger das vier- bis sechsfache der empfohlenen Eiweißmenge. In Kombination mit Bewegungsmangel kann dies laut Prof. Lothar Wendt (1907–1989) zu Bindegewebsverschlackung und Gefäßverkalkung führen.
Und trotz aller Irrtümer: Noch immer oder sogar immer mehr scheint die Nährstoffanalyse der einzelnen Inhaltsstoffe eines Nahrungsmittels eine mehr ganzheitliche Sichtweise in den Hintergrund zu drängen. Ein Fehler, der auch in der Pflanzenheilkunde gemacht wurde und wird, ohne zu berücksichtigen, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
Auf die Frage des interessierten Laien, welche Kost angesichts der oft widersprüchlichen Diskussion um gesunde Ernährung denn nun die Beste sei, antworten Experten heute gern: eine „ausgewogene Mischkost“. Der Ernährungswissenschaftler und Naturarzt-Autor Dr. Edmund Semler (siehe z. B. Ausgabe 12/2012) fragt nun rhetorisch seine eigenen Berufskollegen, was denn das eigentlich sei. Die Antworten sind sehr dürftig – wenn sie überhaupt kommen:
„Von allem etwas“ ist eine ebenso häufige wie völlig hilflose Aussage. Braucht man für solche Erkenntnisse Ernährungsexperten?
Ein anderer Experte hält den Begriff „ausgewogene Mischkost“ – obwohl ihn selbst gebrauchend – für unwissenschaftlich und plädiert dafür, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden.
Was bleibt? Der US-Bestsellerautor Michael Pollan brachte es so auf den Punkt: „Eat food, not too much, mostly plants“. Er meint: frische Lebensmittel, nicht zu viel, vor allem Pflanzen … Zum Glück gibt es Ausnahmeerscheinungen in der Ernährungswissenschaft wie Prof. Claus Leitzmann (siehe Interview ab S. 14), deren Erkenntnisse sich durchaus in diese Richtung bewegen.
Was in der täglichen Praxis bei aller Diskussion über die Nahrungszusammensetzung immer wichtiger wird: die individuelle Bekömmlichkeit. Eine Kost ist nur gesund, wenn sie auch vertragen wird. Ansonsten kann, wie Prof. Karl Pirlet (1920–2010) betonte, gesunde Kost auch krank machen (siehe seinen Beitrag in Naturarzt 4/2007).
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes – fast hätte ich gesagt: „bekömmliches“ – Jahr 2014
Ihr Dr. med. Rainer Matejka