Wer das Vorübergehende lieben kann, ist ein wahrer Meister der Lebenskunst. Da nichts im Leben beständig ist, erscheint das Festhaltenwollen ohnehin nicht sinnvoll. Dennoch klammern wir uns alle an das, was im Moment ist, was wir im jeweiligen Augenblick haben. Doch das Glück ist genauso vergänglich wie das Unglück.
Wir alle wollen glücklich sein. Manchmal erreichen wir diesen Zustand und machen bald den Fehler, das Gefühl des Glücks festhalten zu wollen. Und schon ist es wieder weg. Lieben wir das Glück, wenn es da ist, im Wissen, dass es im nächsten Moment entschwinden darf, dann bleibt es vielleicht noch ein wenig länger. Aber auch die Trauer, die schmerzende Wehklage über das, was wir fühlen, ist ein Zustand des Moments. Wir dürfen auch die Trauer lieben, sie erfüllt ihren Zweck. Auch sie bleibt nicht bei uns, wird anderen Zuständen weichen. Wenn wir auch jene Emotionen, die wir nicht mögen, akzeptieren und sie nicht ablehnen, egal, wie sie sich im Moment anfühlen mögen, dann verlieren sie ihre Schärfe. Wir können dann einen Sinn in ihnen erkennen, sie müssen nicht mehr unbedingt verschwinden, wir können den Augenblick auch gut mit ihnen verbringen.
Wenn wir einen Erfolg erzielen, freuen wir uns? Und dann? Versuchen wir ihn festzuhalten, und schon weicht das Glücksgefühl dem Wollen, also einem Zustand des Mangels. Wenn wir etwas wollen, dann brauchen wir schon wieder etwas. Stattdessen: Erfreuen wir uns am Augenblick des Erfolges und genießen ihn, ohne in die Zukunft zu blicken und ihn dadurch zu schmälern.
Gehören Sie zu den Menschen, die im Urlaub sagen: „Wunderbar ist es hier. Das Meer, die Wärme – herrlich!“, um im nächsten Augenblick zu raunzen: „Aber am Montag ist schon wieder alles vorbei. Wieder den Wecker stellen, ins Büro fahren – könnte ich doch hierbleiben!“ Diese Einstellung vermiest uns das Leben. Denn es gibt immer ein „Danach“.
Das Leben ist eine lange Reihe von Augenblicken. Und die meisten dieser Augenblicke bewerten wir – meist ohne es zu wissen. Jede einzelne Situation wird bewertet: Gut – schlecht – naja – perfekt – mies – Frechheit – ah, sehr gut – so lala – o. k. – schade – so ein Glück – usw. Jeder Moment existiert nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv durch unsere Bewertung. Und durch unser Werten ergibt sich unsere Welt, wie wir sie sehen, fühlen und wahrnehmen. Wir basteln uns unsere eigene Welt. Genau das tun wir, ständig, in jeder Sekunde. Wäre uns das klar, würden wir uns vermutlich für eine schönere Welt entscheiden.
Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir auch viel gelassener mit dem, was sich jetzt im Augenblick zeigt, umgehen. Denn wir wissen, dass einer als negativ bewerteten Situation bald wieder eine positiv bewertete folgen wird. Im Bewusstsein, dass das Leben eine Abfolge von Momenten ist, dürfte es uns auch leichter fallen, einen „schlechten“ Moment gelassener hinzunehmen. Fortgeschrittene können solche Momente im Hintergrund ihres Bewusstseins freundlich annehmen, ja sogar lieben. Der Trick ist, dass man sehr wohl wütend, ängstlich oder traurig sein darf, dies aber dennoch eingebettet sieht in das Große und Ganze, eingebettet in ein weiches, riesiges Bett von Momenten, das unser Leben ausmacht.
Wir dürfen unsere Wut herauslassen und dennoch können wir das Bewusstsein haben (im selben Augenblick), dass auch die Wut vergänglich ist, dass wir die Wut, die Angst, die Trauer, die Eifersucht und all die anderen Zustände, die wir ablehnen, als das annehmen, was sie sind: Emotionen, die ausgedrückt werden wollen. Emotionen, die jetzt im Augenblick hier sind, die aber auch bald wieder abgelöst werden von Emotionen, die wir uns wünschen. Im Wissen, dass jedes schlechte Gefühl eine Augenblickserscheinung ist, ein vorübergehender Zustand, können wir diese Emotionen vielleicht sogar mit freundlichen Augen sehen, vielleicht schon die kommenden warmen Emotionen der Liebe mitschwingen spüren. Wenn wir die endlose Kette von Augenblicken, die das Leben ausmacht, als eine lange Welle mitsamt ihren vielen Bergen und Tälern erkennen, dann gelingt es uns vielleicht, milde mit den Momenten umzugehen, die wir als Tal erleben. Was uns bleibt: die glücklichen Zeiten genießen und nutzen. Und die Vergänglichkeit des größten Glücks und die Augenblicke des Unglücks akzeptieren, im Wissen, dass immer wieder neues Glück kommen wird.
Weiterführende Literatur
► T. Hartl: Raus aus der Angst – rein ins Leben, Via Nova, Petersberg 2016
Autor
Dr. Thomas Hartl ist Schriftsteller, Autorencoach und Journalist mit den Schwerpunkten Gesundheit, Medizin und Psychologie. Er hat an die zwanzig Bücher (Sachbücher und Literatur) veröffentlicht und hilft anderen dabei, sich ihren Traum vom Buch zu erfüllen. Weitere Informationen unter www.thomas-hartl.at