Dr. rer. soc. Thea Weinbuch-Pfeifer
Der Ackerschachtelhalm als Heilpflanze – Zinnkraut – zu wertvoll, um damit nur zu putzen
Was für den Landwirt und Gärtner ein Ärgernis ist, offenbart sich mitunter dem Heilkundigen als Hinweis für die tiefverborgenen Heilkräfte: So unscheinbar die blütenlose Sporenpflanze über der Erde aussieht, dem unter der Erde verborgenen weitverzweigten, tiefliegenden Wurzelwerk ist kaum beizukommen. Vielleicht ist dies auch ein Zeichen – die alten Heilkundler sprachen von "Signaturenlehre" – für die zwar im Verborgenen wirkende, aber eben darum um so tiefgreifendere Heilwirkung des Ackerschachtelhalms, der im Volksmund besser als Zinnkraut bekannt ist.
Neben leicht sandigem bis lehmigem Ackerland besiedelt der Ackerschachtelhalm Wald, Wiesen und Grabenränder, Ödland, Böschungen und zuweilen auch Gärten. Er gilt als Zeigerpflanze für Grundwasser, doch er saugt nicht nur Wasser: Der Ackerschachtelhalm holt lebenswichtige Mineralien aus der Tiefe, er gehört zu den mineralstoffreichsten Heilpflanzen.
Wichtigste Heilsubstanz ist die Kieselsäure, von der die Pflanze bis zu zehn Prozent enthält. Ihre Abkömmlinge – die Silikate – werden heute in der Vollwerternährung als essentielle Vitalstoffe sehr geschätzt. Hauptlieferant sind hierfür vor allem Hafer, Gerste und alle grünen faserreichen Gemüse. Rund ein Prozent der im Ackerschachtelhalm enthaltenen Kieselsäure-Verbindungen sind wasserlöslich und können nicht nur über den Mund, sondern auch über die Haut aufgenommen werden. Dem hohen Gehalt an Kieselsäure ist auch die wohltuende Wirkung der Heilpflanze auf das Bindegewebe zu verdanken. Durch Einlagerungen von Kieselsäure wird es gefestigt. Egal ob als Tee oder Badezusatz verwendet, die Widerstandskraft des gesamten Organismus wird gesteigert. Während bereits im Altertum eine blutstillende, harntreibende und hustenlindernde Wirkung des Ackerschachtelhalms bekannt war, geriet mit Beginn der Neuzeit, Mitte des 15. Jahrhunderts, der Wert dieser Heilpflanze zunehmend in Vergessenheit.
Kneipp schwor darauf bei Blutungen und Blasenleiden
Der Ackerschachtelhalm wurde lange Zeit in Haushalten lediglich als Putzmittel eingesetzt. Dank des hohen Mineralgehaltes und besonders wegen der Kieselsäure läßt sich mit dem Kraut nachgedunkeltes Zinn oder trüb gewordenes Glas wieder hell und strahlend scheuern. Die Namen Zinn, Kannen, Fege und Scheuerkraut weisen noch heute auf diese Verwendung hin.
Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 bis 1897) entdeckte die heilenden Wirkungen des Zinnkrauts wieder neu. Bei Blutungen, Blasen- und Nierenbeschwerden, bei Steinleiden und Harngrieß sowie bei "faulenden Wunden" pries er den Ackerschachtelhalm als "unersetzbar und unschätzbar". Die moderne Phytotherapie hat manches davon aufgenommen. Da die Kieselsäure nachweislich die Elastizität des Gewebes erhöht, Haare und Nägel stärkt sowie die Heilung von Knochenbrüchen beschleunigt, wird Ackerschachtelhalm sogar bei Knochenbrüchen empfohlen.
Anderes ist wieder in Vergessenheit geraten: Früher wurde der Ackerschachtelhalm erfolgreich bei der Behandlung von Lungentuberkulose unterstützend eingesetzt, um das Lungengewebe nach und nach widerstandsfähiger zu machen. Chemische Medikamente haben inzwischen dieses altbewährte Heilmittel verdrängt. Dennoch bleibt Zinnkraut nach wie vor ein gutes Lungenheilmittel. Bei Husten, Asthma und Bronchitis leistet der Tee – oder das Kraut innerhalb einer Teemischung (z.B. mit Wegerich, Fenchel, Thymian) – gute Dienste.
Die Kieselsäure steht zudem im Ruf, die weißen Blutkörperchen – die "Bodygards" unseres Körpers – zu aktivieren und Entzündungen zu hemmen. So kann der Ackerschachtelhalm auch bei rheumatischen Bindegewebs- und Gelenkserkrankungen angewendet werden. Bei Entzündungen der Mundschleimhaut (Stomatitis) und bei Zahnfleischbluten ist ein Absud zum Gurgeln sehr empfehlenswert. Die entzündungshemmende Wirkung kann noch verstärkt werden, wenn zusätzlich Tee getrunken wird.
Wirkungsvoller Bestandteil von harntreibenden Tees
Ackerschachtelhalm regt die Ausscheidung von Wasser an, ohne das Gleichgewicht der ausgeschiedenen und zurückgehaltenen Mineralien zu verändern. Er eignet sich daher sehr gut zur Durchspülungstherapie bei Erkrankungen der Nieren und der Harnwege.
Für die harntreibende (diuretische) Wirkung ist vor allem der Gehalt an Saponin verantwortlich. Saponine (lat. sapo "Seife") schäumen in wässriger Lösung. Darüber hinaus schützen gleichzeitig die Flavone des Heilkrauts die empfindlichen Harnwege vor Entzündungen. Ackerschachtelhalm (medizinisch: Equisetum arvense) ist neben Schafgarbe und Brennessel fester Bestandteil vieler harntreibender Tees. Wirkungsvoll unterstützt werden kann eine solche Trinkkur durch warme Zinnkraut-Sitzbäder.
Äußerlich wird Zinnkraut in Form von Kompressen bei äußeren Hämorrhoiden, Krampfadern und Nasenbluten (als Tamponade) angewendet. Bewährt hat sich der Tee zwar auch bei Magenblutungen, Bluterbrechen oder Harnblutungen. Bei allen genannten Erkrankungen muß jedoch auf jeden Fall ein Arzt befragt werden!
Die nachfolgenden Rezepte stammen zum großen Teil aus der Volksmedizin und sind nicht samt und sonders wissenschaftlich oder behördlich bestätigt. Nach der Erfahrung von Heilpflanzenkundigen scheint aber in vielen Fällen zumindest die unterstützende Behandlung mit dem Zinnkraut einen Versuch wert.
Das Kraut ist in Apotheken und Reformhäusern erhältlich. Von Mai bis Juli können Sie die grünen Sommertriebe auch selbst sammeln. Dabei ist zu beachten, daß der Ackerschachtelhalm mit giftigen Arten verwechselt werden kann. Sumpf und Teichzinnkraut sind meist von einem Pilz befallen, der vermutlich bei der Bildung eines giftigen Alkaloids, dem Equistin, eine wichtige Rolle spielt. Wer selbst sammelt, sollte daher immer ein gutes Pflanzenbestimmungsbuch zu Rate ziehen. Da der unerwünschte Pilz jedoch vorwiegend im Spätsommer (September) auftritt, kann man der Gefahr allein schon dadurch begegnen, daß man sich beim Sammeln auf die Zeit von Mai bis Ende Juli beschränkt. Gesammelt werden nur die grünen, bis zu 40 Zentimeter hohen Sommertriebe mit ihren schuppenartig in Quirlen angeordneten Blättern. Knapp zehn Zentimeter über dem Boden werden die Triebe abgeschnitten. Die Trocknung erfolgt im luftigen Schatten bei hohen Sommertemperaturen. Am besten geschieht dies auf Papier, da das getrocknete Heilkraut sehr leicht in viele kleine Teile zerbricht.
Tee zur Nierenspülung, Bäder für straffere Haut
Tee-Zubereitung:
Etwa ein Eßlöffel Kräuter mit einer Tasse Wasser einige Minuten aufkochen und den Tee 15 Minuten ziehen lassen. Zum Harntreiben täglich mindestens zwei Tassen dieses Tees trinken. Bei Lungenbeschwerden sollte er schluckweise den ganzen Tag über eingenommen werden. Der Zinnkraut-Tee kann auch aus einem Kaltauszug hergestellt werden, den man zehn bis zwölf Stunden lang ziehen läßt.
Sitz und Vollbäder:
Für ein Bad nimmt man einen Eimer des frischen Krauts und setzt es mit kaltem Wasser 24 Stunden lang an. Dieser Sud wird leicht angewärmt, bevor er dem Sitzbadewasser zugegossen wird. Am wirkungsvollsten ist ein sogenanntes ansteigendes Sitzbad, bei dem die Wassertemperatur allmählich erhöht wird. Dabei wird in die Wanne langsam heißes Wasser zugeschüttet. Der Wasserstand muß so hoch sein, daß die Nieren beim Baden im Wasser sind, das Herz aber außerhalb. Ein solches Sitzbad wirkt besonders wohltuend bei Blasen-, Beckenboden- und Gebärmutterkrämpfen und den damit einhergehenden Rückenschmerzen. Empfohlen wird ein Zinnkraut-Bad auch zur Nachbehandlung von Erfrierungen oder bei funktionellen Störungen der Becken- und Geschlechtsorgane. Die Badedauer beträgt etwa 20 Minuten. Nach dem Bad sollten Sie sich mit noch feuchter Haut in einen Bademantel hüllen und eine Stunde im warmen Badezimmer oder im Bett "nachdünsten". Zinnkraut-Bäder festigen das Bindegewebe und aktivieren den Stoffwechsel. Bis zu einem gewissen Grad können sie erschlaffte und faltige Haut straffen.
Tinktur gegen Schweißfüße:
Zehn Gramm frisches Zinnkraut werden mit 50 Gramm Kornbranntwein in einem durchsichtigen SchraubGlas angesetzt und 14 Tage in die Sonne gestellt. Jeden Tag einmal das Glas schütteln. Die gut gewaschenen und abgetrockneten Füße werden damit täglich eingerieben. Zur wirksamen Unterstützung sollte morgens nüchtern eine halbe Stunde vor dem Frühstück eine Tasse Zinnkraut-Tee getrunken werden.
Umschlag bei Hautgeschwüren:
Für Umschläge können Sie entweder das feuchtwarme Zinnkraut in nasse Tücher hüllen oder aber die Tücher in einem Zinnkrautabsud anfeuchten und behutsam auf die entzündete Haut legen. Bei eitrigen Nagelbettentzündungen und offenen Füßen sind allerdings Zinnkrautwaschungen und -bäder den Umschlägen vorzuziehen.
Dämpfe gegen Blasenbeschwerden:
Bei Blasenkatarrhen und krampfartigen Schmerzen im Unterleib können Zinnkraut-Dämpfe sehr hilfreich sein. Dazu sollten Sie reichlich Ackerschachtelhalm in einer Schüssel mit kochendem Wasser übergießen und zehn Minuten in einen Bademantel gehüllt auf die Blase einwirken lassen. Diese Prozedur ist einige Male zu wiederholen. Ein solches Dampfbad kann auch alten Menschen helfen, die plötzlich ihre Blase nicht mehr entleeren können. Oftmals lösen die heißen Zinnkrautdämpfe ihre Schmerzen und Krämpfe recht schnell.
Dr. rer. soc. Thea Weinbuch-Pfeifer,
Jahrgang 1952, studierte Haushalts- und Ernährungswissenschaften. In Ihrer Promotion befaßte sie sich mit dem Problem der Ernährungs und Verhaltensumstellung bei Übergewichtigen. Danach lebte sie 10 Jahre in afrikanischen und arabischen Ländern. Seit 1991 gehört sie zum Naturarzt-Team.