Im Winter meldet sich bei dem einen oder anderen vielleicht der „innere Bär“ und verlangt nach Rückzug. Wie schön wäre es, wenn wir wie Meister Petz in eine warme Höhle kriechen könnten und erst wieder auftauchen müssten, wenn die Frühlingssonne lockt.
Es ist gerade mal 10.000 Jahre her, da zogen sich die Menschen in der kalten Jahreszeit in Höhlen oder halbunterirdische Wohnhütten zurück, lebten von ihren Vorräten und ließen die Tage gemächlich vergehen, um Energie zu sparen. Wie der Bär polsterten sie ihre Lager mit trockenem Moos, Laub und Heu aus, mischten duftende Kräuter darunter und hielten so lästige Insekten fern.
Überhaupt gibt es erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Bären und Menschen. Davon zeugen nicht nur Märchen und Mythen, sondern auch biologische Fakten. Der Bär ist wie wir ein Sohlengänger und setzt seinen Fuß von der Zehe bis zur Ferse fest auf den Boden. Außerdem kann er auf zwei Beinen aufrecht stehen und seine Umgebung sondieren. Seinen scharfen Augen entgeht nichts. Interessanterweise gleicht der Bärenkörper ohne seinen dicken Pelz dem Körper eines Menschen. Es ist also nicht verwunderlich, dass unsere Vorfahren und Naturvölker den Bären verehrten. Er galt aber auch als Lehrer der Heilkundigen, die ihn aufmerksam beim Ausbuddeln von Wurzeln, beim Knabbern von Rinden und beim Fressen von Beeren und Kräutern beobachteten. In Heilzeremonien verbanden sich die Heiler mit dem Bärengeist, indem sie die Bärenhaltung einnahmen und sangen. Dabei standen sie aufrecht und hielten ihre Hände, die wie Pranken eingerollt waren, über den Bauchnabel, wobei sich die Knöchel der Zeigefinger berührten. Auf diese Art zogen die Medizinmänner Kraft aus der Körpermitte, jenem Zentrum zwischen Bauchnabel und Herz. Fast jeder Bärenheiler hatte auch Bärenkrallen in seinem Medizinbeutel. Diese drückte er den Kranken ins Fleisch, damit die heilende Bärenkraft auf sie überging. Wer vom Bär träumte oder eine starke Bärenbegegnung hatte, der wurde zum Heilen mit Pflanzen berufen. Bei den nordamerikanischen Indianern waren die Bärenträumer die mächtigsten unter den Medizinleuten. Der Bär zeigte ihnen im Traum bestimmte Heilpflanzen oder gab andere Hinweise zur Heilung von Krankheiten.
Wenn es um Loslösung, Rückzug, aber gleichzeitig auch um das Knüpfen neuer Verbindungen geht, kann der Bär mit den ihm zugeschriebenen Eigenschaften ein starkes Symbol sein. Er hilft Vertrauen in die eigenen Kräfte zu entwickeln und unseren inneren Heiler zu entdecken. Wenn wir also lernen, die Zeichen zu deuten und entsprechend zu handeln, ist das ein großer Schritt in Richtung Gesundheit.
Eine alte Weisheit aus dem Yukon, Kanada, lautet: „Der Mensch solle sein Sozialverhalten vom Wolf und sein Essverhalten vom Bären lernen.“ Und tatsächlich unterscheidet sich der Speiseplan des Bären nur wenig von dem unserer Vorfahren, die als Wildbeuter unterwegs waren. Er ist ein Allesfresser und dazu noch ein Feinschmecker. Süßem und Saurem kann er nur schwer widerstehen. Im Frühjahr ritzt er mit seinen scharfen Krallen die Rinde von Ahorn und anderen Bäumen an und schleckt den zuckerhaltigen Saft. Für ein bisschen Honig nimmt er schmerzhafte Bienenstiche in Kauf. Nach dem Winterschlaf weckt er seine Lebensgeister mit klarem Wasser und saftigem Grün, wie jungen Brennnesseln, Farn, Schafgarbe und wilden Zwiebeln. Nebenbei plündert er Nüsse und Samen aus den Nestern der Eichhörnchen. Im Sommer kommen zu Wurzeln und Kräutern auch Fische und Kleingetier dazu. Zu etwa 75 % lebt der Bär jedoch vegetarisch. Im Herbst mästet er sich mit Bucheckern, Nüssen, Eicheln, Früchten, Pilzen und Wildbeeren. Diese Kost erhält den Bären stark und gesund – möglicherweise würde sie auch uns Menschen gut tun.
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