Liebe Leserin, lieber Leser,
der Irrtum von gestern ist die Leitlinie von heute. So in etwa könnte man es für die Medizin formulieren. Der Betablocker war einst bei Herzschwäche (Herzinsuffizienz) kontraindiziert und wurde zur Blutdruckbehandlung und bei „schnellem Puls“ eingesetzt. Heute ist es fast umgekehrt: Gerade bei der Herzinsuffizienz wird er verordnet, um das bereits geschädigte Herz vor einer weiteren Belastung durch Stresshormone zu schützen. Zur Blutdruckbehandlung ist der Betablocker nicht mehr erste Wahl, in vielen Fällen aber als „Antiarrhythmikum“.
Ich denke ferner an den Wirkstoff Metformin, den heute fast alle Typ-2-Diabetiker bekommen. Einige Experten vermuten sogar, dass auch andere Patientengruppen von der Einnahme profitieren könnten. Als junge Ärzte bekamen wir einst eingebläut: Metformin ist ein altes Medikament aus den 1950er Jahren, das gefährliche Ketoazidosen (Stoffwechselübersäuerungen) erzeugen kann: „Wird nicht mehr verordnet!“ Stattdessen dominierte in den 1980ern der Wirkstoff Glibenclamid, der die Bauchspeicheldrüse „auspeitscht“, um mehr Insulin zu produzieren, denn das benötige der Diabetiker ja. Heute wissen wir: Typ 2 hat in der Regel ausreichend Insulin, manchmal sogar zu viel. Es wirkt nur nicht richtig. Das nennt man „Insulinresistenz“.
Fast analog verhält es sich mit Fruchtzucker (Fructose). Einst wurde er als gesunde Alternative zum herkömmlichen Zucker empfohlen, ausdrücklich auch Diabetikern, denn Fructose werde insulinunabhängig verstoffwechselt. Es gab bis Anfang der 2000er Jahre sogar spezielle, mit Fructose hergestellte „Diabetikernahrung“. Heute wissen wir: Fructose in größeren Mengen begünstigt Übergewicht, Fettleber, Diabetes und Gicht. Besonders kritisch sind in diesem Zusammenhang Softdrinks, die oft einen besonders hohen Fructoseanteil aufweisen. Aber auch „gesundes Obst“ kann trotz seiner Vitalstoffe Tücken haben, vor allem wenn es in größeren Mengen und überwiegend abends verzehrt wird. Denn abends ist die Zuckertoleranz des Körpers schlechter als vormittags.
Ein Hamburger Experte erläutert, wer häufig Mango, Weintrauben und Bananen verzehre, verschlechtere oft seine Zuckerbilanz und fördere Fettleber und Übergewicht. Man solle lieber auf weniger zuckerhaltige Obstsorten wie Erdbeeren oder Himbeeren ausweichen und diese nur saisonal und in Maßen zuführen. Auch für Smoothies gilt: ganz überwiegend Gemüse verwenden und nur eine kleine Menge Obst zur Geschmacksoptimierung beifügen. Sonst können auch solche im Grunde wertvollen Lebensmittel den Stoffwechsel durcheinanderbringen.
Dr. med. Rainer Matejka