Liebe Leserin, lieber Leser,
seit einigen Jahren wird von politischer Seite eine „Bürgerversicherung“ gefordert: eine Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) für alle und damit die Abschaffung der Möglichkeit zur privaten Vollversicherung. Die Expertenmeinungen zu diesem Thema sind kontrovers. Die Befürworter argumentieren vor allem mit Begriffen wie „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“, die Gegner mit Warnungen vor unkalkulierbaren Risiken, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Einstieg in die „wahre“ Zweiklassenmedizin und verfassungsrechtlichen Bedenken.
Aus beiden Lagern kommen nachvollziehbare Einwände. So wäre eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung in der Tat zu erwarten. Im derzeitigen System können etliche Praxen und Kliniken nur Dank der Privatversicherten überleben. Sie finanzieren das System sozusagen „quer“. Sollten diese wegfallen, drohten deutliche Beitragssteigerungen der gesetzlichen Kassen und gleichzeitig ein Praxen- und Kliniksterben.
Allein die Diskussion über die mögliche Einführung einer Bürgerversicherung hat dazu geführt, dass etliche medizinische Einrichtungen angedachte Investitionen zurückgestellt haben. Auch die Warnung, sie würde eine Zweiklassenmedizin erst recht befördern, ist nicht aus der Luft gegriffen: Gutbetuchte könnten sich immer zusätzliche medizinische Leistungen privat erkaufen – sofern der Gesetzgeber nicht auch das noch reglementieren würde. Andererseits befindet sich das System der Privatkassen (PKV) seit Jahren in einer Schieflage. Durch die immer höhere Ansetzung der Beitragsbemessungsgrenzen gewinnt die PKV immer weniger Neumitglieder. Die Folge sind – trotz Altersrückstellungen – drastisch gestiegene Beiträge in den letzten Jahren, vor allem für ältere Mitglieder, die keine Chance mehr haben zu wechseln. Ich denke besonders an Selbstständige mit Kleinbetrieben, die wenig Rücklagen bilden konnten. Diese Bevölkerungsgruppe würde ohne Frage von der Einführung einer Bürgerversicherung profitieren.
Ich gebe zu, kein Freund der Bürgerversicherung in der angedachten Form zu sein. Unter bestimmten Voraussetzungen halte ich sie dennoch für diskutabel. Beispielsweise wenn sich diese neue Versicherung wirklich auf die Basisversorgung konzentrieren würde. Das hieße dann: Gelenkersatz nur bei wirklicher Indikation, und nicht etwa weil leitende Ärzte mit den Klinikbetreibern Verträge über die Mindestzahl der im Jahr durchzuführenden Knie- oder Hüftoperationen abgeschlossen haben. Ferner Linksherzkatheter nur, wenn diese klinisch klar angezeigt sind. In Deutschland werden weit mehr derartige Eingriffe durchgeführt als im übrigen Europa. Psychotherapie ja, aber bitte keine 30 Sitzungen auf Kassenkosten wegen Liebeskummer, den man zur „posttraumatischen Belastungsstörung“ erklärt. Keine Belagerung von Notfallambulanzen mit Bagatellfällen. Derzeit machen diese rund 40 % aus. (Nein! 38 Grad Fieber sind kein Notfall!) Auch für zahlreiche Kassen mit eigenen Marketingabteilungen und Vorständen ist dann kein Platz mehr. „Abspecken“ heißt die Devise.
Zu all dem wird es aber nicht kommen. Realistischer ist ein Szenario mit Ärztemangel, längeren Wartezeiten, mehr Bürokratie. „Weiter so“ eben – unter Gebrüll nach „mehr Geld“. Ich wünschte, das deutsche Gesundheitssystem hätte nur die Hälfte des Geldes zur Verfügung. Wir würden uns alle wundern, was man auch damit alles erreichen könnte, vor allem wenn naturheilkundliche Konzepte der Lebensstiländerungen stärkere Beachtung fänden.
Dr. med. Rainer Matejka