Liebe Leserin, lieber Leser,
Grenzwertdiskussionen über Stickoxide würden in Skandinavien, Singapur und Kanada pragmatisch diskutiert und zügig gelöst. In Deutschland arten solche Themen regelmäßig in eine Art Glaubenskrieg aus. Die Historie lehrt uns, dass Kriege oft nicht mit dem Sieg einer Seite enden. Vielmehr mit der Erschöpfung aller Beteiligten … Zuletzt kamen Zweifel an der Frage auf, ob die Festlegung von Stickoxid-Emissionen auf 40 µg pro Kubikmeter Luft realistisch sei. Am Arbeitsplatz sind Grenzwerte von 950 µg erlaubt. Zigarettenrauch soll noch viel höhere Werte produzieren. Die Argumentation: Am Arbeitsplatz gehe man von einer Expositionsdauer von acht Stunden bei leidlich gesunden Menschen aus. An der Straßenkreuzung aber wolle man auch Rücksicht auf bereits erkrankte Menschen, Allergiker und Kinder nehmen. Insofern scheint die strengere Grenze zunächst nachvollziehbar.
Bei genauerer Betrachtung aber sind sich Experten nicht einmal einig, ob es primär um Stickstoffdioxid oder Stickstoffmonoxid geht. Ein Forscher will herausgefunden haben, es reiche bereits aus, Fahrzeuge mit hohem Stickoxidausstoß auf der linken statt auf der rechten Spur fahren zu lassen. Schon seien die Messwerte im Rahmen. Ein Schweizer Experte sieht die Gefahr viel eher im Feinstaub denn im Stickoxid. Die Bundesumweltministerin, eine studierte Germanistin und Politologin, plädiert für Hardware-Nachrüstung bei „älteren Dieselfahrzeugen“. In der Praxis heißt das: Für jeden einzelnen Motor müsste umständlich eine eigene Zulassung für den jeweiligen Nachrüst-Satz erwirkt werden. Aufgrund der Struktur der Unterbodengruppe ließe sich dieser dann oft nicht motornah verbauen. Damit wäre der Wirkgrad fraglich – von drohendem Mehrverbrauch und Motorschäden ganz abgesehen. Angesichts dieser Aspekte möchte man sagen: „Frau Schulze, vergessen Sie’s!“ Zumal bereits Euro-5-Diesel bei CO2-Ausstoß und Feinstaub deutlich besser abschneiden als Benziner und Hybridantriebe. Der Bundesverkehrsminister möchte die Grenzwerte überprüfen lassen und wehrt sich vehement gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen. Letzteres wäre zwar noch nicht die Lösung des Problems in den Städten, aber vielleicht ein Gebot der Zivilisation: Wenn in den fast 28 Mal größeren USA 75 Meilen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen ausreichen (= 120,6 km/h), muss es in Deutschland nicht wesentlich schneller sein. Der Bundesverkehrsminister ist übrigens ein studierter Politologe und Soziologe… Auch unter Medizinern herrscht hier keine Einigkeit: Kürzlich griffen einige Lungenärzte in die Diskussion ein – mit zum Teil ungeschickten Aussagen. Dennoch besteht kein Grund, in den Äußerungen den Ausdruck einer „verirrten Minderheit“ zu sehen, die auf „Reichsbürgerniveau“ argumentiere, wie es der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek – ebenfalls mit politologischem Hintergrund – tut. Man fragt sich, wo eigentlich die Bundeskanzlerin ist, die immer nur auf Brüssel verweist. Sie wäre als Physikerin wenigstens näher am Thema als sämtliche Sozialwissenschaftler. Sie wusste sicher schon lange von der Schwierigkeit, die Grenzwerte einzuhalten.
Es gilt nun, wirkungsvolle Sofortmaßnahmen zu ergreifen: Denkbar sind das Herausleiten des Schwerlastverkehrs aus Innenstädten, bessere Ampelschaltungen, öffentliche Verkehrsmittel mit umweltfreundlichen Antrieben und Expresslinien und mehr Fußgängerzonen. Das käme der Umwelt wirklich zugute!