Liebe Leserin, lieber Leser,
„Im ewigen Kreislauf der Natur entsteht aus Luft, Wasser und Sonne unser Zucker. Der in der Rübe entstandene Zucker wird nach einem einfachen Verfahren gewonnen. Es garantiert, daß er, so wie ihn die Pflanze gebildet hat, auf unseren Tisch kommt. Deshalb ist Zucker die natürlichste Sache der Welt. Wie überall in der Natur sind auch bei der menschlichen Ernährung Ausgewogenheit und Vernunft das Geheimnis. Auch beim Umgang mit Süßem.“
Man könnte meinen, ein Gedicht vor sich zu haben. Tatsächlich versteckt sich hinter diesem Poem nichts anderes als Werbung für einen schlichten, weißen Würfelzucker, der unter dem Namen „Wiener Zucker“ von der Billa-Supermarktkette in Österreich vertrieben wird.
Wer glaubt, solche hochtrabenden Formulierungen und irreführenden Botschaften können nur das Produkt findiger Werbetexter sein, der irrt. „Hochrangige Experten“ stellen ähnliche Behauptungen auf. So findet sich in einer Broschüre der zentralen Marketingagentur CMA („Bestes vom Bauern“) unter dem Motto „Glauben ist nicht Wissen“ mehrere „Expertenmeinungen“ zum Thema Zucker. Diese „bestätigen“ den oben zitierten Standpunkt:
Zucker sei höchst natürlich. Auch begünstige er keinen Diabetes. Der Geschmack nach Süßem sei dem Menschen schon in die Wiege gelegt, daher vollkommen natürlich. Zucker sei auch kein Vitamin-B1-Räuber und, vor allem, er mache nicht dick und schade auch nicht den Zähnen …
Es sind nicht irgendwelche Theoretiker, die dies behaupten, sondern führende Ernährungswissenschaftler mit Professorentitel. Sie heißen Bässler, Hauner, Pudel, Wiedemann, Westenhöfer und Märländer. Angesichts solcher „Experten“ und ihrer Aussagen, die zumeist jeder praktischen Erfahrung widersprechen, braucht man sich nicht wundern, wenn die Zahl chronischer Zivilisationskrankheiten, vor allem Diabetes und Übergewicht, rapide zunimmt. Manchmal kommt es mir so vor, als ob nirgendwo mittlerweile soviel gelogen wird wie im Bereich Gesundheit und Ernährung. Der Grund: Überall bestehen mächtige Lobbyinteressen, die den klaren Blick auf die Realität verstellen.
Genau hier sehen wir als Naturarzt weiterhin eine wichtige Aufgabe: Desinformation als solche zu kennzeichnen und zu versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen bewährtes Gesundheitswissen weiterzugeben – ohne ideologischen Fanatismus. Darum wollen wir uns auch im kommenden Jahr bemühen.
Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in ein hoffentlich gutes Jahr 2005!
P.S. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle vorerst nichts mehr zum Gesundheitswesen sagen. Die Vorschläge sowohl der Regierung als auch der Opposition machen sprachlos: Zuerst werden mehr oder weniger wohlklingende Vokabeln in Umlauf gebracht, und die Politiker tun so, als würde nun alles einfacher und besser. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, es wird wohl alles noch komplizierter und noch schlechter organisiert. Immerhin, „Seehofer is out“. Vielleicht macht das wirklich manches einfacher. Ich jedenfalls bin geneigt, es als gutes Omen für 2005 zu nehmen. Man soll ja positiv denken …