Liebe Leserin, lieber Leser,
in einer großen Tageszeitung regten sich Anfang Oktober zwei Journalisten über das „Einsickern von Esoterikern in die deutschen Universitäten“ auf. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen demnach an rund 18 Universitäten „Wünschelrutengänger, Homöopathen, Anthroposophen und Anhänger diverser asiatischer Aberglauben auf die Studenten losgelassen werden“. Demnach werden „bald ganze Universitäten Humbug statt Wissenschaft lehren“. Im Weiteren wird von der „Hartnäckigkeit von Anhängern geschlossener Glaubenssysteme“ gesprochen. Die Krönung des Ganzen sei die Gründung einer europäischen Hochschule für Homöopathie im Oberbayerischen Traunstein im Jahr 2014 – „ein Triumph des akademischen Paralleluniversums“.
Mag sein, dass es inzwischen neben den klassischen Universitäten eine Reihe recht eigenartiger „Hochschulen“ gibt, manche scheinen eher virtuelle Briefkastenfirmen zu sein, an denen alles Mögliche und zum Teil auch Obskure gelehrt wird. Erstaunlich dabei auch die Kreativität bei neuen akademischen Titeln, die offiziell gar nicht existieren. Da lobe ich mir den Hofrat und die Realitätenbesitzersgattin aus Alt-Wien. Dass aber die besagten Artikelschreiber alles zusammenrühren und jahrhundertealte langjährige Erfahrungstherapien in einen Sack mit möglicherweise absurden Außenseitertherapien werfen, spricht für wenig Sachkenntnis.
Man könnte gegenfragen, ob denn die angebliche Wissenschaftlichkeit an den etablierten Hochschulen nicht auch so manchen Humbug enthält. Und da fällt mir gerade in der Medizin eine Menge ein: z. B. hoch dosierte Kalziumtabletten und „viel Milch trinken“ gegen Osteoporose – als ob das Kalzium sich dadurch besser in die Knochen einlagern würde. Oder manche Impfempfehlung der ständigen Impfkommission STIKO, einem Gremium, welches hinter verschlossenen Türen tagt, sich nicht auf „randomisierte Doppelblindstudien“ stützt und dessen Protokolle grundsätzlich geheim bleiben.
Und ich denke an ganze Fachdisziplinen: die Dermatologie meint immer noch, ein Ekzem sei eine Hauterkrankung, die man vor allem mit Salbe unterdrücken müsse. Die Orthopädie deutet „Verschleiß“ im Röntgenbild als Folge einer mechanischen Fehlbelastung oder des Alters. Die Diabetologie war über die Jahre durch teils absurde Ansichten und fachliche Kehrtwendungen gekennzeichnet. Würden wissenschaftsgläubige Mediziner all die Methoden, die sie ihren Patienten empfehlen, in dieser Form selbst bei sich durchführen? Bestenfalls „teils, teils“, um mit den Worten des Arztes und Schriftstellers Gottfried Benn zu sprechen.
Unter dem Strich bleibt: Es gibt im Bereich der Alternativmedizin so manchen Unsinn – da haben die Autoren nicht ganz unrecht. Kritik daran darf aber nicht dazu führen, bewährte Methoden der Erfahrungsmedizin wie die Homöopathie, Anthroposophie oder traditionelle chinesische Medizin (TCM) in Bausch und Bogen als Humbug zu bezeichnen.
Das Beispiel zeigt einmal mehr: Zwischen streng wissenschaftsgläubigen Menschen und Anhängern einer naturheilkundlichen Medizin gab und gibt es entgegen mancher Beteuerung kaum Übereinstimmung und wird es in der Masse auch nicht geben. Alle Hoffnung auf ein integratives Miteinander wird auf absehbare Zeit höchstens von einer Minderheit idealistischer Einzelkämpfer getragen.