Liebe Leserin, lieber Leser,
es soll nicht wenige Menschen geben, die den alten Schellack-Platten nachtrauern. Der ganz besondere Sound und die akustische Tiefe werden als einzigartig gelobt. Diese könnten moderne Tonträgersysteme nicht vermitteln. Ich selbst verbinde mit Schellack-Platten aus der Jugendzeit in erster Linie „Kratzer“. Auch wenn man sie noch so sorgsam behandelte: An irgendeiner Stelle war nur noch ein Knacken zu hören, das sich scheinbar endlos wiederholte, oder zumindest so lange, bis der Saphir den Kratzer überwunden hatte. Kam es ganz schlimm, dann sprang der Tonabnehmer immer wieder an dieselbe Stelle zurück und wiederholte die gleiche Passage in Dauerschleife.
Wie dieser unfreiwillige, nervtötende Ohrwurm kommt mir seit geraumer Zeit die Diskussion zum Thema „Pro und Contra Fasten“ vor. Während viele Zeitschriften sich angesichts der klassischen Fastenzeit im ausgehenden Winter positiv bis euphorisch äußern, findet sich in „seriösen“ Zeitungen mindestens ein Experte – meist aus dem ernährungswissenschaftlichen Bereich –, der vor gefährlichen Nebenwirkungen des Nahrungsverzichts warnt. Von dem Abbau von Muskulatur, einschließlich der Herzmuskulatur wird da geredet. Von einer Schädigung des Immunsystems, dem Jojo-Effekt bei Menschen, die abnehmen möchten, von Störungen des Mineral- und Hormonhaushaltes und Vielem mehr.
Auch Anfang 2017 erlebe ich beim Durchblättern einiger Zeitschriften ein Déjà vu. Wenngleich die Fastengegner heute nicht mehr so pauschal negativ argumentieren wie noch vor ein paar Jahren. Inzwischen hat nämlich eine doch recht beträchtliche Anzahl von Studien die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit des Fastens bei einer ganzen Reihe von Indikationen untermauert. Demnach lindert es Schmerzen und Entzündungen, kann dementsprechend helfen, den Verbrauch von „Rheumamitteln“ mit all ihren Nebenwirkungen zumindest zu reduzieren. Der Effekt ist besonders nachhaltig, wenn im Anschluss an das Fasten eine vegetarisch/vegane Ernährungsweise erfolgt. Die vielfältigen Symptome des metabolischen Syndroms (ab S. 11) werden gelindert, bei wiederholtem Fasten und Optimierung der Lebensführung manchmal sogar gänzlich beseitigt. Eine ursächliche Behandlung „auf einen Schlag“ also, wo sonst umfangreiche medikamentöse Therapie erfolgt. Fasten unterstützt die psychovegetative Stabilisierung. Und im kurzzeitigen Rahmen soll es die Effektivität von Krebstherapien deutlich steigern.
Erfahrungsheilkundlich wissen wir seit langem von günstigen Effekten auf Migräne und Kopfschmerzen. Auch COPD sowie bestimmte Haut-, Leber- und Nierenerkrankungen können positiv beeinflusst werden. Kurzum: Fasten, neuerdings auch Kurzfasten, hat sich mittlerweile über Jahrzehnte zur Vorbeugung und Therapie zahlreicher Krankheitsbilder bewährt. Bleibt die Frage, warum unser Gesundheitswesen es nicht stärker propagiert und fördert. Die Antwort ist immer die gleiche: Alle Protagonisten des Systems – Krankenkassen, Ärzte, Industrie und Patienten – haben mehrheitlich kein Interesse daran.
Dahinter steckt nicht nur Profitdenken, sondern vor allem Unwissenheit und die menschlich zunächst verständliche Neigung, im Zweifelsfall lieber den erst einmal bequemeren Weg der Symptomtherapie zu verfolgen. Schlimme Wirtschaftskrisen, die hoffentlich ausbleiben mögen, würden womöglich ein rasches Umdenken auslösen. Weniger ist manchmal mehr, meint
Ihr Dr. med. Rainer Matejka