Viele Menschen verbringen ihre Tage wie eine einzige Pflichterfüllung. Sie stellen keine großen Anforderungen und haben kaum Erwartungen. Langsam werden sie alt und nach und nach dämmert es so manchen, dass es das vielleicht noch nicht gewesen sein kann: Ich bin zwar am Leben, aber lebendig bin ich nicht.
Viele Menschen, die ein sehr eingeschränktes Leben führen, tun dies aus der Angst heraus, dass sie ein echtes, ursprüngliches, wildes Leben überfordern würde. Sie fühlen, da muss es mehr geben, wagen aber nicht, der Sache konkret auf den Zahn zu fühlen. Doch wie dem ungelebten Teil seiner selbst auf die Spur kommen? Zum Beispiel, indem man sich fragt: Was würde ich eigentlich gern tun, sein, machen, haben? Wie müsste das Leben sein, damit ich nicht nur zufrieden, sondern glücklich wäre? Wie müsste es sein, dass es wild und auch mal ekstatisch wäre statt schaumgebremst? Müssten sich die äußeren Umstände ändern und/oder die innere Einstellung?
Zugegeben, es ist wirklich keine leichte Übung, denn es können viele negativen Gefühle hochkommen, wenn man sich ehrlich eingesteht, wie man es denn eigentlich gerne hätte und wie das Leben tatsächlich aussieht. Soll und Haben sind oft meilenweit voneinander entfernt. Wenn Sie jedoch den Mut aufbringen, sich einen Lebensentwurf zu skizzieren, der nicht nur lauwarm ist, dann machen Sie sich klar, was Sie bisher an seiner Realisierung gehindert hat. Schnell werden altbekannte Argumente auftauchen. Schließlich müssen Sie Geld verdienen und was würden überhaupt die anderen davon halten? Der Umgebung würde so ein „Lebens-Wandel“ vielleicht nicht gefallen, das stimmt. Es kann aber auch sein, dass Sie schon jetzt kaum mehr jemandem gefallen, wenn Sie stumpf, trübsinnig und ohne Lebenslust durch Ihre Tage stolpern. Vielleicht würde die neue Version Ihrer selbst auch das Leben der anderen verbessern? Es gibt viele Gründe, warum so viele von uns ihr Leben so leben, als wäre es endlos, ewig gleich dahinplätschernd, ohne Höhen und Tiefen. Ein gewichtiger Grund, den wir uns kaum eingestehen wollen, ist die Lebensangst. Die Angst, wirklich und echt zu leben. Viel leichter ist es, sich hinter der Arbeit oder dem Fernseher zu verschanzen. Lieber haben wir die bekannte Hölle als den unbekannten Himmel, auch hier auf Erden.
Sie sagen, auf Sie trifft das nicht zu? Dann erinnern Sie sich einmal: Machen Sie das, wovon Sie als junger Mensch geträumt haben? Oder haben Sie sich arrangiert? Sind Sie Musikproduzent statt Musiker? Bankbeamter statt Fondsmanager? Kulturkritiker statt Bestsellerautor? Machen Sie etwas, das dem, was Sie eigentlich immer machen wollten, zwar irgendwie ähnlich ist, aber eben nicht das, was Sie wirklich wollten? Wenn Sie sagen: „Stimmt schon, früher wollte ich das, aber heute bin ich ein anderer“, dann ist das natürlich in Ordnung. Wenn es denn auch wahr ist. Dann kann man sich von den alten Hüten trennen und sie aus seinem Leben (auch sehr bewusst) entlassen. Es ist sehr erleichternd, erledigte alte Wünsche und Sehnsüchte loszulassen.
Wenn man freilich erkennt, dass die alten Sehnsüchte immer noch in einem schlummern und man diese immer nur verdrängt oder sich ihrer Erfüllung gar bewusst verweigert hat, dann gilt es zu entscheiden, ob man diesen Zustand auch künftig aushalten will oder ob man sich an die Verwirklichung seiner Träume macht. Wie auch immer Ihre Situation ist, eines jedenfalls bringt Ihnen ein großes Stück Freiheit: eine Entscheidung. Am Ende des Analysierens, des Durchdenkens und Durchfühlens Ihrer Situation sollte Ihre Entscheidung stehen. Ansonsten kommen Sie nicht wirklich vorwärts.
Weiterführende Literatur
T. Hartl: Raus aus der Angst – rein ins Leben, Via Nova, Petersberg 2016
Autor
Dr. Thomas Hartl ist Schriftsteller, Autorencoach und Journalist mit den Schwerpunkten Gesundheit, Medizin und Psychologie. Er hat an die 20 Bücher (Sachbücher und Literatur) veröffentlicht und hilft anderen dabei, sich ihren Traum vom Buch zu erfüllen. Weitere Informationen unter www.thomas-hartl.at