Gefühlskompetenz: mangelhaft
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Bewusstsein

Gefühlskompetenz: mangelhaft

Patrizia Patz, Diplom-Betriebswirtin und Heilpraktikerin

Mit Emotionen – sprich Gefühlen – wird in Werbung, Verkauf und Politik häufig gearbeitet. Erfolgreich ist, wer sein Gegenüber emotional erreicht. Doch im Umgang mit den eigenen Gefühlen sind die meisten von uns Analphabeten.

In Schule und Universität wird hauptsächlich unser Verstand trainiert und mit jeder Menge Fakten gefüttert. Ein hohes Maß an Intelligenz wird belohnt und wertgeschätzt. Aber Gefühle? Fehlanzeige!

Die einzige „Ausbildung“, die wir in Sachen Gefühle erhalten, erfolgt durch gesellschaftliche und familiäre Konditionierung. Wir übernehmen in jungen Jahren das, was allgemein akzeptiert ist, und was wir in unserer Familie mitbekommen. Oder wir ziehen unsere Schlüsse aus schmerzlichen Erfahrungen mit unseren eigenen Gefühlen oder den von anderen. Kurzum: Gefühle sind Privatsache, die man nicht öffentlich zeigt – außer im Fußballstadion. Gefühle sind kindisch, irrational, launisch und nicht vertrauenswürdig. Erwachsen sein heißt, sich und seine Gefühle im Griff zu haben.

So lernen wir sehr früh, unsere Gefühle zu unterdrücken und zu ignorieren. Allerdings verschwinden sie dadurch nicht, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Wesens. Um unliebsame Gefühle nicht spüren zu müssen, betäuben wir uns: mit Arbeit, Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten, übermäßigem Konsum, durch Fernseher, Internet, Computerspiele oder Social-Media-Kontakte. Unser Umgang mit Gefühlen kann sich auf diese Weise aber nicht weiterentwickeln. Wenn wir sie komplett ins Unbewusste verbannen, dann bleiben sie dort und gären vor sich hin – unbewusst, aber dennoch vorhanden. Und vor allem zugänglich für Manipulationen von außen. Werbung, Verkäufer, Medien und Politiker machen sich den Umstand zunutze, dass wir unsere Gefühle verdrängt haben. Diese unbewussten Gefühle motivieren uns, bestimmte Produkte zu kaufen, uns einer bestimmten Meinung anzuschließen oder eine bestimmte Partei zu wählen – ohne dass wir uns darüber bewusst sind.

Die meisten Werbespots zielen z. B. auf unbewusste Ängste ab: vor Krankheit, vor einem Unfall, davor, nicht dazu zu gehören, alt und gebrechlich zu werden, etc. Das gleiche gilt für die Wahlwerbung der Parteien. Hier ist es dann z. B. die Angst, den Job zu verlieren, weniger Geld zu haben oder von Fremden überrannt zu werden. Das Zaubermittel dagegen heißt Bewusstheit. Denn dort, wo Bewusstheit herrscht, hat Manipulation keine Chance. Auch über körperliche Symptome, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen oder Herzbeschwerden, können sich unterdrückte Gefühle ausdrücken oder sich in Angst-attacken, Depressionen, unkontrollierbaren Wutanfällen oder dem Burnout-Syndrom Bahn brechen.

Was uns fehlt, ist eine Ausbildung im Umgang mit Gefühlen. Sie sind nämlich eine sehr nützliche Ressource. Wenn wir lernen, sie bewusst zu fühlen und verantwortlich mit ihnen umzugehen, dienen Gefühle als Kraftquelle. Sie geben uns nützliche Informationen und Handlungsimpulse. Sie versorgen uns mit Motivation und Kraft, Dinge in Bewegung zu bringen und umzusetzen und auch andere davon zu begeistern. Gefühle machen uns menschlich, verbinden uns und lassen uns mitfühlen – um nur einige Aspekte zu nennen.

Zunächst müssen wir unsere Gefühlswelt aus dem Exil des Unbewussten befreien und einen bewussten Zugang zu dieser Ressource schaffen. Im zweiten Schritt geht es dann darum, einen erwachsenen Umgang mit Gefühlen zu erlernen: Was fühle ich gerade? Welche Information gibt mir dieses Gefühl? Wozu kann ich diese Information und Kraft nutzen? Erwachsen sein bedeutet nämlich, sich seiner Gefühle jederzeit bewusst zu sein und sie verantwortlich zu nutzen.

Wie man Gefühle wahrnimmt

  • Innehalten und Zentrieren: Die emotionale Reaktion auf einen Reiz erfolgt sofort. Bevor wir uns bewusst werden, dass wir etwas fühlen, hat unser Verstand schon mehrere Geschichten dazu gestrickt. Hier hilft es, kurz innezuhalten und die Aufmerksamkeit weg von den Gedanken hin zum physischen Köper zu lenken. Denn der Körper fühlt, nicht der Verstand!
  • Gefühl einordnen: Dann fragt man sich selbst: „Was fühle ich gerade und warum?“ Die meisten Gefühle lassen sich auf vier Grundgefühle zurückführen: Wut, Traurigkeit, Angst und Freude.
  • Das Gefühl bewusst fühlen: Wir haben gelernt, uns schnell wieder in den Griff zu bekommen und zurück in den Verstand zu gehen. Stattdessen ist es ratsam, mit der Aufmerksamkeit im Körper zu bleiben, weiterzuatmen und dem Gefühl zu erlauben, da zu sein und sich auszudrücken – eventuell durch Zittern, Tränen oder das, was sich sonst noch zeigt.
  • Beobachten, was passiert: Man atmet tief ein und aus, während man das Gefühl da sein lässt. Und geht mit seiner Aufmerksamkeit immer wieder zurück in den Körper zu seinem Gefühl. Man beobachtet, wie es sich verändert, wenn man es eine Zeitlang bewusst gefühlt hat. Nimmt wahr, wie es nach einiger Zeit einfach abebbt. Und macht sich dann bewusst: alles ist in Ordnung, es geht mir gut!