Nietzsche betonte schon im 19. Jahrhundert, dass Werte immer auf Herrschaftsstrukturen ausgerichtet und damit relativ, perspektivisch und zeitlich sind. Reich und glücklich sein, vielleicht auch noch schön … das sind heute die höchsten Werte vieler Menschen in zahlreichen Gesellschaften.
Philosophisch gehören die Eigenschaften reich, glücklich und schön in die Kategorien von Ästhetik und Ethik des Lebens. Was „schön sein“ bedeutet, hängt sehr von den jeweiligen gesellschaftlichen Übereinkünften, Moden und Trends ab. „Glücklich sein“ ist so individuell, dass eine einheitliche psychologische und philosophische Aussage dazu unmöglich ist. „Reich sein“ kann man aber an objektiven Zahlen ablesen: Was auch immer das Zahlungsmittel in einer Gesellschaft ist, man ist reich, wenn man viel davon hat. Egal ob es Gold, Muscheln oder Gewürze sind – solange es als Zahlungsmittel anerkannt ist. Bei uns sind diese Mittel schon lange im Geld abstrahiert. Geld ist in dieser Hinsicht nahezu magisch, denn wir können damit alle anderen Mittel und noch vieles mehr erwerben. Kein Wunder also, dass bei uns derjenige als reich gilt, der viel Geld hat.
Unsere Gesellschaft ändert sich jedoch ständig. Richtig reich sind im oben genannten Sinn heute nur sehr wenige Menschen. Außerdem nimmt die ungleiche Verteilung des Reichtums zu, und immer weniger Menschen häufen immer mehr Besitz an.
Auf der anderen Seite sehen wir einen Trend, der weg vom Besitz gewisser Gebrauchsgüter geht und hin zur Erlangung des Zugangs zu solchen Gütern. Viele wollen heute in der Großstadt z. B. nicht unbedingt ein Auto besitzen, das täglich rund 23 Stunden herumsteht und ständig Kosten verursacht. Der Zugang zu einem Auto ist in Städten mit Carsharing oft leicht und günstig zu haben, dass der Besitz eines Autos für viele keine attraktive Option mehr ist. Auch bei Musik und Filmen reicht vielen der Zugang über das Streaming aus, weil sie keine CDs oder DVDs mehr als Staubfänger im Regal benötigen. Im Zuge dieser Sharing-Kultur (Kultur des Teilens) sehen wir tendenziell auch eine Höherbewertung von Erlebnissen gegenüber dem Besitz. War früher das Auto ein Statussymbol, ist es heute das Durchstehen eines Marathons oder die Besteigung eines hohen Bergs. Und der Besuch von Konzerten ist heute prestigeträchtiger als der Besitz einer CD.
Aber auch in einer Welt des Zugangs und des Erlebnisses braucht man natürlich Geld. Denn damit bekommt man den Zugang zu Infrastruktur und Medien. Und den Mount Everest kann sowieso nur besteigen, wer einen bestens ausgestatteten Mittelklassewagen aus der linken Hosentasche bezahlen könnte. Aber da befinden wir uns in den Regionen des Luxus. Wer den nicht benötigt, weil es auch der Hausberg tut, kann in einer Welt des Teilens und Erlebens mit relativ wenig Geld auskommen.
Das alles gibt uns die Möglichkeit, Reichtum einmal anders zu definieren. Dazu müssen wir uns von dem lösen, was es in der Gesellschaft als Übereinkunft zum Reichsein gibt. Fragen wir doch einmal, was es für uns persönlich bedeuten könnte, reich zu sein. Wenn wir uns nicht an anderen Menschen messen, uns nicht vergleichen, sondern nur auf unsere Bedürfnisse schauen würden – was wäre Reichtum dann für uns? Ich habe für mich eine Reichtums-Philosophie adoptiert, die auf folgendem Gedanken basiert: „Reich ist, wer viel von dem hat, was ihm wichtig ist.“
Mit diesem Satz bin ich zu einer bescheideneren Definition von Reichtum gekommen, die es mir ermöglicht, zufrieden mit dem zu sein, was ich habe. Damit wird auch klar, worauf ich mich konzentrieren sollte, um meinen Reichtum zu mehren. Beispielsweise ist es mir derzeit sehr wichtig, viel Zeit mit meinem Sohn zu verbringen. Gleichzeitig brauche ich weiterhin Zeit für Sport, Bewegung in der Natur und zum Lesen und Schreiben.
Noch bin ich nicht so reich, wie ich gern wäre, denn ich habe nicht genug von dem, was ich gerade beschrieben habe. Die Konsequenz daraus ist aber gerade das Gegenteil vom gesellschaftlich normierten Reichtumsstreben. Um in meinem Sinne reicher zu werden, muss ich auf Geld verzichten, anstatt mehr Geld zu erlangen. Das heißt also, weniger zu arbeiten oder auch mal ein paar Monate gar nicht. Auf Geld zu verzichten, um mehr Zeit zu gewinnen. Denn Zeit ist mir im Moment das wertvollste Gut.
Allerdings muss man sich das auch leisten können. Sicher hat nicht jeder die Möglichkeit, weniger zu arbeiten, weshalb ich die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens begrüße. Es sind aber auch individuelle und langfristige Entscheidungen, die man treffen kann, wie zum Beispiel ganz bewusst kein Haus auf Kredit zu kaufen. Denn Kredite zwingen uns zur Arbeit.
Am Ende ist es so, dass man sich selbst die Mühe machen muss zu erkennen, was einen ganz persönlich reich machen würde. Wovon will ich mehr? Was brauche ich, um glücklich zu sein? Wer eine Antwort auf diese Fragen findet, weiß damit auch, worauf er oder sie sich konzentrieren sollte. Die Reduktion auf das, was einem wichtig ist, macht am Ende reich.