Liebe Leserin, lieber Leser,
Seit einigen Jahren habe ich den Eindruck, Rheumapatienten fragen nicht mehr so oft nach naturheilkundlichen Alternativen zur herkömmlichen Behandlung wie noch vor 10 oder 15 Jahren. Eine Physiotherapeutin bestätigte kürzlich diesen Eindruck: „Viele nehmen ihre Schmerzmittel, z. B. Vioxx, und manche scheinen damit happy.“ Von einer Ernährungswissenschaftlerin höre ich, daß ein mehrfach angebotener Volkshochschulkurs „Gesunde Ernährung bei Rheuma“ mangels Interesse nicht zustandegekommen ist.
Ein Ereignis aus der jüngsten Vergangenheit könnte das Interesse nach Behandlungsalternativen wieder verstärken: Ein besonders kostenintensives und verbreitetes Arzneimittel – Vioxx® – gegen rheumatische Erkrankungen (Kosten EUR 8,63/Tag für 2 Tabletten bei mittlerer Dosierung) wurde vom Markt genommen. Eine Studie hatte ergeben, daß sich die Zahl der Herzinfarkte unter langfristiger Einnahme dieses Präparates erhöht. Dabei wollte der Hersteller eigentlich nachweisen, daß, ähnlich wie bei Aspirin, eine blutverdünnende Wirkung eintritt, die das Herz schützt! Wäre diese Studie nicht durchgeführt worden, hätte man womöglich auf Jahre hinaus die gefährlichen Nebenwirkungen des Präparates gar nicht erkannt.
Persönlich halte ich die Zurücknahme des Medikamentes für übertrieben. Man hätte es, mit strengen Auflagen versehen („nicht länger als vier Wochen, nicht bei koronarer Herzkrankheit“…), belassen können.* Wahrscheinlich waren drohende Schadenersatzklagen in den USA der Hauptgrund für die Zurücknahme.
Wie dem auch sei: Diese Situation eröffnet auch Chancen und sollte Ärzte und Patienten wieder mehr zum Nachdenken anregen: Rheumatische Erkrankungen lassen sich durch naturheilkundliche Begleittherapien häufig günstig beeinflussen. Bei Arthrose, wenn nicht zu weit fortgeschritten, hilft oft allein konsequente Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie, eventuell ergänzt durch die Neuraltherapie nach Huneke oder Akupunktur.
Die Wirksamkeit moderner Homöopathika sowie pflanzlicher Mittel wurde mittlerweile in mehreren Studien nachgewiesen. Demnach helfen diese Mittel bei Steifheit und Schmerzen ähnlich gut wie das verbotene Vioxx. Schwieriger sind entzündlich-rheumatische Erkrankungen, wie die chronische Polyarthritis einzustufen. Auch hier wissen wir aber seit Jahren, daß eine pflanzlich betonte und arachidonsäurearme Kost den Verbrauch stark wirksamer Arzneimittel reduzieren hilft (siehe „Was hat Rheuma mit Ernährung zu tun?“ in Heft 9/2003). Neuerdings werden auch mit hochdosierten Vitamin-C-Infusionen gute ergänzende Behandlungserfolge erzielt, auch wenn der Einsatz stark wirksamer Antirheumatika nicht immer zu vermeiden ist.
Schließlich zeigt uns der Fall Vioxx
einmal mehr: Gegenüber neuen, mit großem Werbeaufwand in den Markt gebrachten Präparaten ist Skepsis durchaus angezeigt. Wie oft haben wir schon erlebt, daß ein eben noch hochgejubeltes Präparat sich im Laufe der Jahre als problematisch oder gefährlich herausstellt! Die Liste dieser Präparate ist lang und, daß sie auch in Zukunft wächst, wird auch der moderne Wissenschaftsformalismus mit seiner „evidenzbasierten Medizin“ (alle Erkenntnis beruht demnach auf Studien) nicht verhindern können.
Mit besten Grüßen
Dr. med. Rainer Matejka
* P.S. nach Redaktionsschluß: Es zeichnet sich ab, daß sowohl die US-Arzneimittelbehörden als auch die Europäische Arzneimittelagentur diese Lösung anstreben – Wiederzulassung ja, aber nur mit Einschränkungen.