Eine Möglichkeit, sich sein Leben so richtig zu vermiesen, ist die Ausrichtung des eigenen Fokus: Gräme dich über das Gestern und fürchte das Morgen. So kannst du das Jetzt elegant vermeiden.
Vergangenheit und Zukunft sind in letzter Konsequenz so etwas wie menschliche Konstrukte. Wenn wir einen Bären nach der Uhrzeit fragen würden und er uns antworten könnte, würde er wohl sagen: „Was heißt das, wie spät? Es ist doch jetzt!“ Doch dieses Jetzt erlebt unsereins reichlich selten. Gedanken, Werbung und Medien aller Art ziehen uns weg vom gegenwärtigen Augenblick und versprechen uns im „Dann“ ein besseres „Jetzt“.
Nicht wenige Menschen sprechen gern von der „guten alten Zeit“. Dass diese Zeit, wenn man etwas genauer hinsieht, gar nicht so gut war, wird gerne ausgeblendet. Vielmehr ist es die eigene Bewertung der gespeicherten Erinnerungsbilder, die die Vergangenheit positiv oder negativ erscheinen lässt. So wie man den Fokus des Bewusstseins ganz wunderbar auf das Ersehnen des „Dann“, also einer vorgestellten Zukunft, richten kann, kann man den mentalen Scheinwerfer auch schmachtend und sehnsuchtsvoll in die Vergangenheit schwenken – mit dem schönen Erfolg, dass das gegenwärtige Leben immer mehr erstarrt.
Unser Körper kennt weder Vergangenheit noch Zukunft. Für ihn gibt es immer nur das Jetzt. Wenn Sie also die Erfahrungen existenziellen Leidens mehren wollen, brauchen Sie nur Ihren Fokus in einer wehmütigen, traurigen oder auch zornigen Gemütshaltung auf Erinnerungsbilder Ihrer Vergangenheit richten, und alsbald wird Ihr Körper die elektro-chemische Entsprechung dieser Haltung erschaffen. Da sich die Vergangenheit bekanntlich nicht mehr ändern lässt, können Sie mit dieser Technik des negativen Rückblickens genüsslich bis ans Ende Ihrer Tage leiden! Na, wenn das kein Jackpot ist! Das werden selbst die hartgesottensten Zweifler unter Ihnen zugeben müssen. Halten Sie also fest an den Bildern und den Bewertungen Ihrer Vergangenheit, dann kann gar nichts mehr schiefgehen!
Wenden wir uns nun der angstvollen Zukunft zu. Das Wort Angst kommt aus dem Lateinischen „angustus“, was so viel wie Enge bedeutet. Angst macht eng und eng macht Angst. Herzrasen, Atemnot, Engegefühl in der Brust, bis hin zu völliger körperlicher Erstarrung, im Fachjargon auch Stupor genannt, können auftreten, wenn man sich besonders ausgiebig und hingebungsvoll fürchtet. Im Zustand von Angst schaltet das Gehirn auf Kampf, Flucht oder in den Totstellmodus. Stresshormone werden ausgeschüttet und die Immunabwehr wird heruntergefahren. Bildhaft gesprochen schaltet das körperliche System bei Angst auf den Neandertalermodus um. Es ist so nett und versetzt uns in die Lage, den zu erwartenden, lebensbedrohlichen Säbelzahntiger zu bekämpfen oder vor ihm fliehen zu können. Heute ist bloß schon lange kein Tiger mehr da, vor dem man fliehen müsste, doch erklären Sie das einmal dem immer noch in uns existierenden Neandertalerprogramm! Sinnlos! Es kann nicht zwischen realer und eingebildeter Gefahr unterscheiden.
Ganz wichtig: Bleiben Sie Ihren Ängsten gegenüber ernst. Nicht lachen! Auch nicht das leiseste Lächeln! Sich zu fürchten, ist schließlich eine ernste Angelegenheit. Richten Sie den Fokus Ihres Bewusstseins stets in die Zukunft! Leben Sie stets im Dann! Angst braucht fast immer ein Dann. So können Sie, werte Leserschaft, Stück für Stück Ihre eigene private Hölle erschaffen. Eine Hölle, die Ihnen keiner nehmen kann, solange Sie nur treulich an diesem Verhalten festhalten. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Oder eben sein Höllenschlund.
Autor
Dr. jur. Thomas Hartl ist Schriftsteller, Autoren-coach und Journalist mit den Schwerpunkten Gesundheit, Medizin und Psychologie. Er hat an die zwanzig Bücher (Sachbücher und Literatur) veröffentlicht und hilft anderen dabei, sich ihren Traum vom Buch zu erfüllen. Weitere Informationen unter www.thomas-hartl.at.