Die alten Griechen sagten, der Körper sei das Grab der Seele. Wären wir nur Geist, so könnten (oder müssten) wir wohl endlos leben. Unser Körper ist aber nicht nur das Grab, sondern auch der Garten, in dem die Seele wohnt.
Wenn man vierzig wird, hört man es zunehmend von Freunden und spürt es selbst in den Knochen: Der Körper gibt nach, baut ab, steht einem manchmal mehr im Weg, als dass er Hilfe ist. Das sind nicht die Art von Wehwehchen, die man mit zwanzig hatte, und die nach zwei Wochen wieder verschwanden.
Wenn wir bisher ansonsten unversehrt waren und sich unser Körper nun derart „aufdrängt“, dass wir ihn in seiner Verletzlichkeit hartnäckig spüren, kann das erschreckend und deprimierend sein. Bislang war vor allem das „Nichts“ in unserem Körper, also die Stellen, die wir nicht spürten, weil sie nicht schmerzten. Und davon gibt es auch jetzt noch viel mehr, als wir denken. Doch diese Stellen sind nicht nichts. Aus ihnen kommt unsere Stärke, dort speist sich das Leben und gleichzeitig denken wir nie an sie, sondern bemerken und verfluchen unseren Körper erst da, wo er schmerzt und ächzt, wir ihn also spüren.
Unsere Kultur ist geprägt von der Dominanz des Geistes über den Körper. Der Körper ist Mittel zum Zweck, egal ob Garten oder Grab (was am Ende ja dasselbe ist), der Körper wird als ein leider notwendiges Gefäß für unseren Geist begriffen. Deshalb denken und verfügen wir oft auch voller Ungeduld und ohne Erbarmen über ihn. Wir vernachlässigen oder betrachten ihn so lange als selbstverständlich, bis er anfängt zu versagen. Und dann nehmen wir ihn als Ärgernis wahr, als etwas, das eigentlich funktionieren sollte und nun kaputt geht.
Eine etwas andere Perspektive können wir von Menschen gewinnen, die ihr Leben lang keinen voll „funktionierenden“ Körper haben, weil sie mit starken Beeinträchtigungen geboren wurden, oder weil sie einen schweren Unfall hatten. So zum Beispiel Matthew Sanford, der seit einem Autounfall in seiner Kindheit querschnittsgelähmt ist und sein Leben dem Yoga gewidmet hat. Seine Perspektive ist, dass wir zu einer besseren Körperbeziehung kommen müssen, zu einer, die über das Verständnis des Körpers als Werkzeug hinausgeht. Und dazu müssen wir uns aufgeben, uns hingeben können:
„Spüre die Kraft, die aus der Stille kommt, sei präsenter, gib dich der Welt hin und fühle mehr. Du wirst dich verletzlich fühlen, wenn du dich selbst einfach so in der Welt sein lässt. Darum vermeiden wir das. Die Dominanz über den Körper ist das, was wir Menschen seit Tausenden von Jahren praktizieren, Dominanz über die Natur und über die anderen. Unser Überleben wird davon abhängen, ob wir ein differenzierteres Bewusstsein unserer Körper erlangen können.“ (Übersetzung aus dem englischen Interview Compassion for Our Bodies)
Sanford geht damit über das übliche Denken von Körpern hinaus, und ich sehe darin sogar Parallelen zu einem neuen Realismus, der Objekte, Körper und alle Seinsformen mindestens so ernst zu nehmen versucht, wie das vermeintliche Wissen über die Dinge. Es ist eine Philosophie der Liebe zu unserem Körper die wir hier anstreben. Diese kann und muss auch übergehen auf andere Menschen, auf Tiere und letztlich die ganze Welt.
Nehmen wir als ersten Schritt unseren eigenen Körper in seiner Schönheit und seinen Empfindungen wahr. Bemerken wir zur Abwechslung einmal, was alles geht, anstatt das, was gerade mal nicht geht. Was könnte zum Beispiel schöner sein, als im Sommer in einen See zu tauchen, die Frische auf der Haut, die prickelnden Wasserbläschen, das Seegras, das an den Füßen kitzelt. Oder beim Tanzen: Wenn die Musik erst einmal Emotionen weckt, alles durchdringt und die Füße nicht mehr stillhalten können.
Genießen wir unseren Körper und verzeihen wir ihm, wenn er nicht immer klaglos funktioniert. Er funktioniert viel mehr, als dass er nicht funktioniert. Wenn uns etwas weh tut, dann sollten wir unseren Körper ermutigen und nicht beschimpfen, denn er tut sein Bestes. Der Schmerz ist ein Zeichen für seinen Kampf um unser Leben. Wir können ihm dabei helfen, indem wir ihm geben was er braucht: ausreichende Bewegung, gute Ernährung und einen regen Geist, der ihn bewohnen kann.
Nicht zuletzt ist es auch ein Zeichen der Weisheit, wenn man akzeptiert, dass der Körper nicht für die Ewigkeit gemacht ist. Unsere Leben schreiben sich ein in unsere Körper. In den Narben, dem Verschleiß und den Krankheiten finden wir unsere eigene Geschichte. Wir können sie annehmen und weiterführen, so gut es eben möglich ist.
Den eigenen Körper mit seinen Gebrechen zu lieben, ist auch eine Chance, das ganze Leben anzunehmen und auszukosten. Dabei hilft es nicht, danach zu fragen, was man jetzt nicht mehr kann, sondern das zu suchen, was jetzt möglich ist, denn ein anderes Leben gibt es nicht.
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