Heureka! Erkenntnis statt Technik

Heureka! Erkenntnis statt Technik

Liebe Leserin, lieber Leser,

noch in den 1990er Jahren war es gang und gäbe, die Prostata durch die Harnröhre mittels eines operativen Verfahrens zu verkleinern, das man mit einem Begriff bezeichnete, der keine schönen Bilder hervorruft: die „Abhobelung“. Auch verschiedene Varianten des Laserns kamen wie am Fließband zum Einsatz. Hintergrund der zahlreichen Eingriffe war folgende Überlegung: Die Prostata vergrößere sich mit zunehmenden Alter regelmäßig. Dann könne es zur Verengung der Harnröhre kommen. Es drohe die „Alt-Herren-Krankheit“ mit lästiger Symptomatik, wie erschwertem Wasserlassen und Restharnbildung.

Wer dieses Thema seit Jahren verfolgt, dem fällt auf: Die Prostata vergrößert sich im Alter nicht unweigerlich. Und, entgegen dem, was immer wieder behauptet wird, ist keine sichere Korrelation zwischen Größe des Organs und entsprechenden Beschwerden erkennbar. Lange Zeit wurde gelehrt, beim jungen gesunden Mann habe die Prostata die Größe einer durchschnittlichen Kastanie. Studien zeigten, die Größe kann individuell schwanken und zwischen 8 bis 40 cm³ liegen. Erst wenn die Größe eines Golfballes überschritten ist, spricht man von einer wirklichen Vergrößerung. Selbst wenn diese mit über 100 cm³ massiv ist, bedeutet das nicht zwangsläufig Beschwerden. Es gibt somit keine sichere Beziehung zwischen Prostatagröße und Beschwerden beim Wasserlassen, der sogenannten „Blasenauslass-Obstruktion“ (BOU).

Um Zusammenhänge näher zu klären, können urodynamische Untersuchungen durchgeführt werden, die u. a. den Blasenauslassdruck messen. Jeglicher Restharn galt jahrzehntelang als unbedingt zu behandelnde Symptomatik, da die Fachwelt ein erhebliches Infektionsrisiko befürchtete.

Nach neuen Leitlinien gelten Restharnmengen bis 39 ml bei Männern ab 50 als vollkommen normaler Befund. Ursache hierfür ist aber nicht immer ein gestörter Blasenauslass beziehungsweise eine vergrößerte Prostata, sondern es spielen auch ganz normale altersbedingte Veränderungen des Blasenmuskels eine Rolle. Auch Erkrankungen wie Diabetes gelten als Verursacher.

Für entsprechende Beschwerden, die man ursprünglich einer vergrößerten Prostata zuschrieb, spielen Zustand der Beckenmuskulatur, Blähungen, vor allem aber auch Stress in Kombination mit Bewegungsmangel eine Hauptrolle. Man spricht von einem Urogenitalsyndrom. Schließlich: Nicht einmal die behauptete erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit einer Nierenstörung unter vergrößerter Prostata konnte belegt werden. Im Rahmen einer Studie zeigte sich bei 2.741 Patienten gerade einmal in 5,9 % der Fälle eine Erhöhung des Nierenwerts Kreatinin. Restharn und Nierenschwäche stehen also offenbar nicht in einer klaren Wechselwirkung.

Fazit: Die vielfach durchgeführten Operationen sind in den meisten Fällen gar nicht erforderlich, jedenfalls nicht in diesem Umfang. Medikamentöse Organverkleinerungen sind Placebos häufig nicht überlegen. Lediglich Alpha-Blocker zeigen eine Verbesserung bezüglich Druck am Blasenmuskel und Harnabflussrate. Bleibt als Quintessenz aus der Naturheilkunde: Auf bekömmliche Kost achten, Übergewicht reduzieren, regelmäßig Sport treiben, eventuell Beckenbodengymnastik und Entspannungsübungen sind wirksame Therapien. Medizinischer Fortschritt liegt oft mehr im Erkenntnisgewinn als in neuen Methoden.

Dr. med. Rainer Matejka