Die meisten Menschen betrachten Angst als ein negatives Gefühl, das sie lieber vermeiden wollen. Doch ist das überhaupt sinnvoll? Angst kann lähmen oder befeuern. Richtig mit ihr umgegangen ist sie eine riesige Ressource – vielleicht sogar eine unserer größten.
Angst wird in unserer Kultur als negative Emotion klassifiziert. Sie gilt als irrational und unprofessionell. Menschen, die Angst haben, sind schwach und unfähig. Wir glauben, dass Angst lähmt und uns erstarren lässt. Daher versuchen wir, die Angst zu vermeiden, so gut es geht. Was wir dabei übersehen: Angst ist eine unserer größten Ressourcen.
Angst ist neben Wut, Traurigkeit und Freude eines unserer vier primären Grundgefühle. Wenn wir davon ausgehen, dass Gefühle kein Designfehler der Schöpfung sind, sondern eine nützliche menschliche Fähigkeit, dann müsste auch die Angst einen Nutzen haben.
Angst lässt uns in neuen Situationen vorsichtig und mit Bedacht vorgehen und führt dazu, uns in solchen Fällen noch besser vorzubereiten. Angst lässt uns zudem wach und präsent sein – wir nehmen Dinge wahr, die wir sonst niemals wahrnehmen würden. Angst setzt ungeahnte Fähigkeiten frei. Es gibt immer wieder Berichte von Menschen, die sich in scheinbar ausweglosen Situationen befunden und dann ungeahnte Kräfte mobilisiert haben. Not macht erfinderisch! Das heißt auch, dass Angst, wenn sie frei fließen kann, Kreativität und Innovation in Gang setzt. Da wir die Angst aber negativ bewerten und nicht üben, mit ihr umzugehen, sind die meisten Menschen nicht in der Lage, sie bewusst als Ressource zu nutzen. Stattdessen lernen wir bereits als Kinder, unsere Gefühle zu betäuben und zu ignorieren, um zu überleben.
Gefühle wie Angst verschwinden aber nicht einfach, nur weil wir uns taub stellen. Sie sind unsere ständigen Begleiter und schwelen dann unerkannt im Unterbewusstsein und können sich in körperlichen Symptomen Ausdruck verschaffen.
Ein weiterer Grund, der uns von der Kraft der Angst fernhält, liegt darin, dass wir keine Unterscheidung zwischen emotionaler Angst und authentischer Angst treffen – zwischen Emotion und Gefühl. Emotionen haben ihre Ursache in der Vergangenheit und entstehen durch schmerzliche Situationen, die wir in der Kindheit durchlebt haben. Wenn sich beispielsweise die Eltern trennen, während wir noch klein sind, kann diese traumatische Erfahrung im Erwachsenenalter zu einer emotionalen Angst vor dem möglichen Verlust des Partners führen. Die Verbindung zu der frühkindlichen Situation ist uns aber nicht mehr bewusst. Solche emotionalen Prägungen können dann zu diffusen, eigentlich „unbegründeten“ Ängsten führen, wie Versagens- oder Existenzangst. Das authentische Gefühl Angst hingegen entsteht im Hier und Jetzt, durch die aktuelle Situation, z. B. wenn wir etwas Neues ausprobieren. Die Angst kommt hoch, Sie nutzen sie, um präsent zu sein und Ideen zu entwickeln, Sie gehen langsam Ihre ersten Schritte, und dann verschwindet die Angst wieder, weil sie ihren Zweck erfüllt hat. Emotionale Ängste sind die Geister Ihrer Vergangenheit, die darauf warten, geheilt zu werden. Die oben beschriebene Kraft steckt nur in der authentischen Angst.
Der Angst eine andere Bedeutung geben
Wie können wir diese Kraft wieder nutzbar machen?
- Die Angst wahrnehmen
Wenn Sie bereit sind, Angst als Freund zu betrachten, gibt es keinen Grund mehr, sie zu unterdrücken. Fangen Sie an, bereits kleinste Anzeichen von Angst zu identifizieren, wie Nervosität, Aufgeregtheit, Kribbeln im Bauch oder Ähnliches. - Innehalten
Sobald Sie Ihre Angst wieder wahrnehmen, halten Sie in dem Moment kurz inne und fragen Sie sich, worauf sich die Angst bezieht. „Ich fühle Angst, weil …“ So können Sie unterscheiden, ob es sich um eine emotionale Angst aus der Vergangenheit oder um echte authentische Angst handelt, die Ihnen im Hier und Jetzt dient. - Die Angst bewusst fühlen
In beiden Fällen besteht der nächste Schritt darin, die Angst bewusst zu fühlen. Im Falle einer Emotion kann Sie die Angst darüber informieren, woher diese „alte“ Emotion kommt. Handelt es sich um ein authentisches Gefühl, nutzen Sie die Angst einfach für den Zweck, der gerade ansteht: Ideen entwickeln, wach und präsent sein, vorsichtig vorgehen usw. - Neue Erfahrung abspeichern
Wenn Sie die Angst genutzt haben, wird sie von allein wieder verschwinden. Aber Sie haben eine neue Erfahrung gemacht: Sie waren handlungsfähig – mit der Angst. Das gibt Ihnen einen neuen Referenzpunkt.