Krisen vermögen unseren Alltag in den Grundfesten zu erschüttern. Eben noch sicher Geglaubtes kommt plötzlich ins Wanken. Wie geht es nun weiter? Doch der Zusammenbruch des Alten birgt auch eine Einladung zum Aufbruch. Es kommt nur darauf an, wie wir diese Erfahrung gestalten und nutzbar machen können.
Unser Wort Krise leitet sich her vom griechischen Wort krísis. In den einschlägigen Wörterbüchern wird es mit „Entscheidung“, „Trennung“, „Kampf“ oder „Urteil“ übersetzt. Verfolgt man seine Herkunft aber weiter zurück in die frühe indo-europäische Sprachgeschichte, erfährt man, dass es ursprünglich so viel bedeutete wie „Dachfirst“.
So gesehen müssten wir eigentlich sagen, wir stehen auf einer Krise und nicht in einer Krise. So wie man eben auf einem Dachfirst steht und nur zwei Möglichkeiten hat: rechts herunter oder links herunter. Dabei hat man keine Ahnung, was einen jeweils erwartet, und keinen Anhaltspunkt dafür, was wohl die bessere Option zu sein verspricht. In einem solchen Zustand kann man dann schon einmal „die Krise kriegen“. Und mit der Krise kommt die Angst – die Angst, die immer dort lauert, wo wir vor dem Ungewissen stehen und die üblichen Sicherheiten weg sind.
Krisen machen uns Angst, weil wir nicht mehr weiterwissen. Und meistens mischt sich in die Krise als weitere Ingredienz die Trauer über das Verschwinden oder den Zusammenbruch des Wohlvertrauten. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Körper, der uns stets ein treuer Diener und Gefährte war, auf einmal nicht mehr mitmacht – eine Krankheit uns ereilt, die uns dazu zwingt, unsere bisherigen Lebensgewohnheiten aufzugeben. Oder es ereignet sich, wenn wir unsere Arbeit und mit ihr unser Selbstverständnis und Selbstwertgefühl verlieren. Es passiert möglicherweise auch, wenn das Vertrauen in die Menschen schwindet, die wir lieben – wenn eine Beziehung scheitert oder unser Herz gebrochen ist. Vor allem tritt es ein, wenn unsere Deutungssysteme scheitern: wenn wir uns keinen Reim mehr darauf machen können, was mit uns und um uns geschieht; wenn wir keinen Sinn mehr erkennen können; wenn wir gleichsam vor dem Nichts stehen, sich die Kompassnadel dreht und wir weder ein noch aus wissen. Dann ist die Krise nicht mehr wegzureden, und tief in uns wird nur noch der eine Wunsch laut: Es muss anders werden, und zwar schnell.
Und damit wären wir beim anderen Gesicht der Krise: Gewiss, sie schmerzt und macht uns Angst, weil das Vertraute, Sichere, Verlässliche verloren ist. Doch gleichzeitig erschließt sie ungeahnte Möglichkeiten. Neue Wege entfalten sich, die wir nie gehen würden, wäre der Zusammenbruch des Alten, der die Stunde Null einläutet, nicht auch immer eine Einladung zum Aufbruch in das Unbekannte.
Krisen markieren den Moment, in dem alles in Fluss gerät – und das mit einem völlig ungewissen Ausgang. Gewiss ist dabei nur eines: dass irgendwann die Stabilität wiederhergestellt sein wird.
Im Chinesischen kann das Schriftzeichen für „Krise“ ebenfalls mit „Chance“ übersetzt werden. „Not macht erfinderisch“, weiß auch bei uns der Volksmund – und mit Recht, denn wenn es auch zu einer jeden Krise unbedingt dazugehört, dass sie uns ängstigt und bedrückt, so ist es uns gleichwohl möglich, selbst zu entscheiden, wie wir uns zu ihr verhalten wollen. Wir können sie als Katastrophe werten und uns selbst bemitleiden, in Gram verhüllen oder anderen die Schuld für unser Unglück geben. Wir können aber auch die Tränen trocknen und die Angst besiegen, um aus einer Krise eine Chance zum Neubeginn zu machen. Es liegt an uns, ob wir die Krise nur als den Zusammenbruch des Vertrauten sehen, oder ob wir darin auch eine Gelegenheit zur Neugestaltung erkennen. Und das ist nicht nur im Leben eines Menschen so. Es gilt auch für Unternehmen. Unternehmertum bewährt sich gerade darin, das Potenzial in Krisen zu erkennen. Von dem Autor Max Frisch ist in diesem Zusammenhang ein schönes Zitat überliefert: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Krisen gehören zum Leben. Sie öffnen neue Horizonte und ermöglichen den Wandel, den wir brauchen, um zu wachsen, zu reifen und unsere Persönlichkeit auszubilden. Es gehört zur Komplexität des Lebens, dass wir nur dann unsere Identität entfalten können, wenn wir bereit sind, sie immer wieder infrage stellen zu lassen. Es liegt folglich an jedem Einzelnen, ob er die Krise annimmt oder sich gegen sie sperrt.
Tut man aber Letzteres, sperrt man sich damit auch gegen die Natur – und damit gegen Lebendigkeit, Entfaltung, Wachstum und Erfolg.