Liebe Leserin, lieber Leser,
das Thema ist seit geraumer Zeit allgegenwärtig und wird von vielen als absoluter „Gamechanger“ diskutiert: Der Chef eines „digital healthcare“-Unternehmens erklärt, dass allein schon durch das sprunghaft zunehmende medizinische Wissen bei immer älter werdender Bevölkerung kein Arzt mehr ohne entsprechende technische Hilfsmittel auskommen werde. Ärzte sollen künftig „Lotsen“ sein – ein Begriff, der schon seit vielen Jahren im Zusammenhang mit den Hausärzten herumgeistert. Neu ist aber: Um die medizinischen Details solle sich die Technologie kümmern. Klingt das alarmierend? Nicht unbedingt, es kommt darauf an, wie man es handhabt, und was man daraus macht.
Der besagte Experte wird geradezu euphorisch, wenn er schreibt, KI durchforste zukünftig in Sekundenschnelle „das medizinische Wissen der ganzen Welt“ und gebe dann „die bestmöglichen Empfehlungen“ ab. Theoretisch mag das ja möglich sein, es wird aber darauf ankommen, womit KI gefüttert wird, wie plausibel und praktikabel die Empfehlungen sind, und wie komplex deren Bedienung etwa bei der Dateneingabe für multimorbide Patienten mit diversen Operationen in der Vorgeschichte und Einnahme zahlreicher Medikamente ist.
Desweiteren werde KI die Arzt-Patienten-Beziehung „revolutionieren“ und damit die Taktfrequenz deutlich erhöhen: Wo heute ein Arzt z. B. 1.000 Patienten pro Quartal betreut, könnten es zukünftig 10.000 sein. Angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle zahlreicher Hausärzte in Deutschland könne moderne Technologie genau diese Lücke füllen. Sofern sie denn zuverlässig funktioniert, möchte man anfügen – was bei digitalen Systemen eben oft nicht der Fall ist.
Und schließlich: Dank moderner Technik gehe die Medizin endlich von einem „reaktiven“ Verfahren in einen „proaktiven“ Modus über, da beispielsweise ein Patient kontinuierlich per Smartwatch überwacht werden könne, und so die Möglichkeit bestehe, Behandlungspläne aufgrund der aktuellen Daten bedarfsweise „in Echtzeit“ anzupassen.
Ob aber alle eine solche Dauerüberwachung wünschen? Vor allem für Herzpatienten mag sie – zumindest auf Zeit – sinnvoll sein. KI wird uns sicher in vielen Bereichen helfen können: von der Auswertung von Befunden bis hin zur Diagnosestellung und zum Erstellen eines möglichst optimalen Behandlungsplans.
Eines aber wird bleiben: Alle KI-Vorschläge müssen vom Arzt auf Plausibilität und Praktikabilität geprüft und dürfen nicht einfach blindlings umgesetzt werden.
Dr. med. Rainer Matejka