Liebe Leserin, lieber Leser,
als ich vor geraumer Zeit in größerem Umfang nicht mehr benötigte Akten, Bücher und Fachartikel in die Papiertonne entsorgte, fiel mir ein Fachartikel aus dem Sommer 2000 in die Hände: „Brustkrebs durch Hormone? Unfug!“ Damals hatte eine große deutsche Tageszeitung über die Risiken durch Einnahme von Hormonen in den Wechseljahren berichtet und den Pharmafirmen Desinformationen vorgeworfen. Diese Auffassung konterte in dem besagten Fachartikel ein Mediziner der Universität Heidelberg, seinerzeit Präsident der Deutschen Menopause Gesellschaft. Er führte internationale Studien ins Feld und äußerte die Hoffnung, der „in jeder Hinsicht unverantwortliche Bericht“ der Tageszeitung werde kein größeres Echo erfahren.
Einige Jahre später sind wir schlauer, sehr wohl weiß man heute: Die jahrelang intensiv verordneten Kombinationspräparate erhöhen die Brustkrebsrate und das Risiko für Herzkranzgefäßerkrankungen. Einige Studien aus Amerika deuten sogar an, dass schon nach kürzester Zeit des Absetzens die Brustkrebshäufigkeit um 19–30 Prozent zurückgeht. Unglaublich. Wie kann es sein, dass jahrelang angeblich seriöse wissenschaftliche Studien mit gegenteiligem Ergebnis abgeschlossen wurden?
Dieses Beispiel steht keineswegs allein, es scheint eher typisch: Eine statistisch aufgelegte Studie mag noch so seriös daherkommen. Sie erfasst oft nicht die Wahrheit in ihrer Komplexität. Auch der Contergan-Skandal wurde nicht von Epidemiologen und Statistikern aufgedeckt, sondern von einem Kinderarzt, der im entscheidenden Moment Intuition und Beobachtungsgabe bewies. Medizinischer Erkenntnisgewinn kann nicht nur auf theoretischen Versuchsanordnungen beruhen, sondern muss immer auch unter praktischen Bedingungen plausibel und tauglich sein. Wer dies berücksichtigt, wird schnell erkennen, dass Methoden, die auf zum Teil jahrhundertelanger Erfahrung beruhen, oft sicherer und nachhaltiger wirken als mit hoher Werbepenetranz in den Markt gedrückte moderne Medikamente.
Das Drama um die Hormongaben wird nicht der letzte derartige Fall bleiben. Weitere Rückzugsgefechte deuten sich bei der Medikamentengruppe der Bisphosphonate im Zusammenhang mit Osteoporosebehandlung an. Plötzlich häufen sich Berichte über irreversible Kiefergelenksnekrosen bei mehrjähriger Einnahme (siehe dazu den Bericht in Naturarzt 4/2008). Ich bin ferner gespannt, ob langfristig die sündhaft teuren TNF-Alphablocker, die für die Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen eingesetzt werden, bestehen können (siehe dazu detailliert Naturarzt 11/2008). Vielleicht als letztes Mittel im Einzelfall, als Standardtherapie wohl kaum. Man kennt ja nicht einmal das genaue Wirkprinzip, weiß lediglich, sie zeigen eine starke symptom- und entzündungshemmende Wirkung bei gleichzeitig erheblicher Immunschwächung.
Statt unreflektiertem Nachbeten „wissenschaftlicher Erkenntnisse“ sollten wir Logik und Plausibilität durch aktives Mitdenken überprüfen. Das gilt besonders für den medizinischen Therapeuten. Aber auch der Laie darf lieber einmal zuviel als zu wenig (hinter)fragen.
Mit besten Grüßen