Liebe Leserin, lieber Leser,
gemeinhin werden Fortschritte der Medizin mit technischen Errungenschaften oder der Entwicklung neuer, meist extrem teurer Medikamente gleichgesetzt. Ich persönlich aber sehe eine beträchtliche Weiterentwicklung für viele Menschen in vergleichsweise einfachen Dingen. Allein die Erkenntnis, dass ständiger Reizhusten durch unerkannten Magensaft-Reflux ausgelöst werden kann, ist für die praktische Behandlung der Patienten äußerst wertvoll. In einem bemerkenswerten Fachartikel wurden kürzlich neue Strategien beschrieben, die vielfältige Probleme rund um Operationen bei Senioren reduzieren sollen.
Ein spezielles Management – vor und nach OPs – soll gewährleisten, dass vor allem ältere Patienten die Eingriffe besser verkraften. Zunächst wird eine Mangelernährung ausgeschlossen bzw. gegebenenfalls behoben. Funktionsteste der kognitiven, also geistigen Fähigkeiten, sollen helfen, Verwirrtheitszustände nach der Operation durch individuellere Anpassung der Narkose möglichst zu vermeiden.
Eine eventuell bestehende Blutarmut muss ebenfalls behandelt werden. Körperliches Training und Sturzprophylaxe sollen nach der OP sofort mehr Sicherheit geben. Medikamente, die der Patient langfristig einnimmt, erfahren eine kritische Prüfung: Insbesondere der Einsatz von Schlaf- und Beruhigungsmitteln soll hinterfragt und die Medikation, wenn nötig, angepasst werden.
Auch das Dogma der kompletten Nüchternheit lange vor einer Operation kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Zufuhr eines kohlenhydrathaltigen Getränks zwei Stunden vor dem Eingriff stabilisiert den Kreislauf und wirkt darüber hinaus angstlösend! Bei der Narkose soll explizit auf Besonderheiten bei älteren Menschen eingegangen werden. Hier ist unter anderem die langsamere Verstoffwechselung von Narkosemitteln infolge nachlassender Organfunktion, insbesondere von Niere und Leber, ein Thema. Die Präparate wirken zum Teil deutlich stärker, da sie langsamer abgebaut werden.
Bei Patienten über 65 Jahre wird daher eine altersgerechte Narkose mit „prewarming“ (dt. „Vorwärmen“ – Maßnahmen, die ein Auskühlen der Patienten unter chirurgischen Eingriffen vermeiden sollen, Anm. d. Red.), „Relaxometrie” (Überwachung der Muskelspannung, Anm. d. Red.) und „altersgerechter Medikation” empfohlen. Nach der Operation soll das Delir-Screening (Delir ist ein Verwirrtheitszustand, z. B. nach OPs, Anm. d. Red.) schon im Aufwachraum beginnen und sehr konsequent bis zum fünften Tag nach der Operation fortgesetzt werden. Wichtig, um die Delir-Neigung auf Station zu reduzieren, sind eine gute Orientierung, die Regelung des Schlaf-Wach-Rhythmus, frühe Mobilisation und möglichst frühzeitige Entfernung von Kathetern und venösen Zugängen. Auch wenn diese Empfehlungen kompliziert klingen mögen, so handelt es sich doch letztlich um bewährte Maßnahmen oder Werkzeuge (neudeutsch: „tools“), die sinnvoll kombiniert werden. Natürlich erfordert dies einen hohen Personalaufwand. In der Gesamtrechnung profitiert aber nicht nur der Patient. Dieses ganzheitliche OP-Management erweist sich mittelfristig auch als äußerst ökonomisch. Wir sehen hier ein Beispiel, wie Medizin durch vernetztes Denken und überlegtes Handeln deutlich optimiert werden kann.
An dieser Vorlage könnte sich doch auch das Qualitätsmanagement orientieren, das bislang hauptsächlich eines hervorbringt: haufenweise Bürokratie …