Liebe Leserin, lieber Leser,
öfters wird behauptet, die etablierte Onkologie werde immer aufgeschlossener für Verfahren der sogenannten „Komplementärmedizin“. Persönlich habe ich diesbezüglich erhebliche Zweifel: Lediglich Allgemeinmaßnahmen wie gesunde, ausgewogene Ernährung und Bewegung werden in der schulmedizinischen Krebsbehandlung überwiegend akzeptiert.
Gleichwohl muss man nicht alles negativ sehen. Immerhin wurde erstmalig eine „S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie“ vorgestellt. Einige Verfahren werden darin zur Linderung von Beschwerden empfohlen, eindeutig positive Urteile existieren hingegen kaum. Recht gute Studiendaten liegen für die Akupunktur bei Frauen mit Brustkrebs vor, bei denen es aufgrund der Einnahme von Antihormonpräparaten zu Gelenkschmerzen gekommen ist, ferner bei Fatigue (Erschöpfung), Ein- und Durchschlafstörungen, Angst und Depressivität nach Abschluss einer Chemotherapie. Auch Akupressur kann erwogen werden. Bei Fatigue und Schlafstörungen nach Brustkrebs kann der Einsatz „anthroposophischer Komplextherapie“ mit Psycho- und Schlafedukation, Eurhythmie und Maltherapie sowie mit Homöopathie überlegt werden.
Des Weiteren werden Verfahren zur „achtsamkeitsbasierten Stressreduktion“ empfohlen. Auch Tai-Chi, Qigong und Yoga werden in diesem Zusammenhang genannt, die die „globale und krebsspezifische Lebensqualität“ erhöhen können. Sofern die Knochenstabilität nicht verringert ist, eignen sich ferner Osteopathie, Reiki und Shiatsu. Spurenelemente und Vitamine sollen nur bei nachgewiesenen Mangelzuständen zugeführt werden. Vor „Vitamin B17/Aprikosenkernen“ wird explizit gewarnt. Auch von „Bioenergiefeld-Therapien“ wird abgeraten, Überwärmungstherapien (Hyperthermie) sollen nicht außerhalb von Studien erfolgen. Die Misteltherapie wird in der Leitlinienzusammenfassung überhaupt nicht erwähnt. Eine ganz klare Pro-Empfehlung gibt es lediglich für Sport und Bewegung.
In der Summe bedeutet das: Naturheilkundliche Verfahren werden nicht in Bausch und Bogen abgelehnt, die meisten erhalten aber lediglich eine verhaltene „Kann-Bewertung“ zur Verbesserung der Patientenbefindlichkeit. Von Krebsheilung durch Naturheilkunde spricht heute kaum noch jemand, es werden auch nicht mehr (wie noch in den 1990er-Jahren) ständig neue Wundermittel propagiert. Die praktische Realerfahrung zeigt aber: Es macht einen Unterschied, ob sich betroffene PatientInnen ergänzend naturheilkundlich behandeln lassen oder nicht. Die Lebensqualität bessert sich oft spürbar, Nebenwirkungen starker onkologischer Therapien können abgemildert werden. Das ist allemal deutlich mehr als nichts.