Liebe Leserin, lieber Leser,
„Geschäftsmodell Rücken“. Unter diesem Titel beschrieb neulich eine Tageszeitung ein schon lange bekanntes Problem: In Deutschland werden viel zu viele orthopädische Operationen durchgeführt. Knie und Hüften kommen hierzulande sieben Mal so häufig unters Messer wie in Frankreich. Aber auch der Rücken ist zu einem „Steckenpferd“ der Chirurgie avanciert. Und hier scheint man besonders kreativ. Da werden Bandscheiben abgesaugt, verengte Spinalkanäle erweitert, Teleskopstäbe eingebaut und dynamische Fixationsschrauben verarbeitet. Doch der Weisheit letzter Schluss ist nicht gefunden.
Natürlich – es gibt klare Indikationen für eine OP: Neurologische Ausfallerscheinungen wie Lähmungen, anhaltende Taubheitsgefühle oder Störungen beim Wasserlassen bzw. der Stuhlentleerung. Hier ist meist der Neurochirurg am Zug. Doch um gewisse degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule zu behandeln, bedarf es häufig keines Eingriffs. Ein Bandscheibenvorfall kann Ursache für einen Rückenschmerz sein, ist es aber nicht zwingend. Auch die Spinalkanalverengung kommt häufiger vor als gedacht. Und zwar bei Menschen, die ohne Beschwerden leben.
Von der mechanistischen Vorstellungsweise, dass überall dort, wo etwas verengt oder verschoben ist, ein Nerv in Mitleidenschaft gezogen wird und Schmerzen verursacht, sollte man sich lösen. Denn bei unserem Rücken handelt es sich um ein durch und durch dynamisches System. Dieses besteht keineswegs nur aus Wirbelkörpern. Sondern auch aus einem komplizierten Geflecht von Bändern, Muskulatur und vegetativen Nervenbahnen. Hier ist beispielsweise gerade die kleine „gefiederte“, schräg verlaufende Muskulatur von großer Wichtigkeit, die die Wirbelkörper in Position hält und für Stabilität sorgt.
Ganz ähnlich wie bei Knieproblemen hat ein aktives Training der Rückenmuskulatur mittelfristig einen viel wert- und sinnvolleren Effekt als operative Eingriffe. Man darf in diesem Zusammenhang also die Frage stellen: Warum werden Operationen eigentlich so anstandslos von den Kostenträgern übernommen? Warum nicht unabhängige Gutachter berufen, die die Erstdiagnose bestätigen oder verwerfen? Und erst nach deren Zustimmung erfolgt die Finanzierung durch die Krankenkasse …
Denn immerhin: Rund 50 % der operierten Rückenpatienten geht es nach der Operation nicht besser. Viele empfinden sogar, dass sich ihr Leiden verschlechtert hat. Und aufgrund der Vernarbung an der Operationsstelle mündet die Behandlung nicht selten in einer Therapie der chronischen Schmerzen mit zahllosen Medikamenten, Antidepressiva eingeschlossen. Die verfahrene Situation verantworten nicht die Leistungserbringer (Krankenhäuser) allein. Auch der betroffene Mensch, der sich nur zu gern als Maschinenmodell begreift, hält eben diese „Maschinerie“ am Laufen.
Etwas austauschen oder wieder festschrauben – das wirkt doch sehr plausibel! Verständnis für komplexe Gesamtzusammenhänge? Fehlanzeige. Und doch drängen sie sich demjenigen auf, der sich vor Ganzheitlichkeit nicht verschließt: die reflexzonalen Ursachen von Rückenschmerzen. Probleme im Lendenbereich, die auf eine Darm- oder Unterleibserkrankung hindeuten. Beschwerden der Brustwirbelsäule als mitunter erstes Symptom einer ernsten Bauchspeicheldrüsenerkrankung. Wird das in der Orthopädie beachtet? Nicht wirklich. Und wenn, dann viel zu wenig oder deutlich zu spät!
Mit nachdenklichen Grüßen
Ihr Dr. med. Rainer Matejka