Liebe Leserin, lieber Leser,
Östrogene in den Wechseljahren? Natürlich, würde jeder gestandene Gynäkologe sagen. Denn: Östrogengaben verringern die Häufigkeit von Herzinfarkten, weil erhöhte Östrogenspiegel günstigere Blutfettwerte ermöglichen. Auch die Häufigkeit von Unterleibskrebs, besonders im Gebärmutterbereich, werde reduziert. Überhaupt, die Befindlichkeit der Frauen sei eine bessere: erhöhte Spannkraft, mehr Vitalität, „glattere Haut“ und bessere Fitneß bis ins höhere Lebensalter. Letzteres mag zutreffen.
Eine wichtige Frage wird jedoch von den Befürwortern der Östrogentherapie konsequent unter den Teppich gekehrt: Könnte Brustkrebs unter Östrogengaben häufiger auftreten als ohne Östrogen? Ein Bremer Wissenschaftler behauptete vor einem Jahr, mehrere 10000 Brustkrebstodesfälle im Jahr könnten bei Verzicht auf Östrogengaben in den Wechseljahren vermieden werden.
Rein logisch betrachtet erscheint die Behauptung keineswegs absurd. Wieso werden denn bei Feststellung eines Brustkrebses zunächst sogenannte Östrogenrezeptoren bestimmt und bei positivem Befund mit Hormonrezeptorenblockern behandelt? Der Nachweis von Hormonrezeptoren bedeutet nämlich, daß dieses Brustkarzinom durch Östrogen in seinem Wachstum stimuliert wird.
Konsequenterweise forderte ein Gynäkologe in einer Ärztezeitung vor einigen Monaten, man solle jeder Frau in den Wechseljahren, die Östrogene einnimmt, gleichzeitig Hormonrezeptorenblocker geben, um diesen möglichen krebsaktivierenden Einfluß von vornherein zu unterdrücken. So absurd auf den ersten Blick diese Empfehlung allein aus Kostengründen und wegen möglicher Nebenwirkungen ist, zeigt sie doch eine gewisse Unsicherheit auch unter „Experten“. Woher weiß ich denn, ob bei Verordnung von Östrogenen nicht schon ein Mikrokarzinom im Brustbereich schlummert, welches sich zunächst noch jeder Mammographie oder anderen diagnostischen Untersuchungsmethode entzieht, aber durch die Östrogengaben stimuliert wird? Dieses Argument konnten bislang auch die vehementesten Befürworter der Östrogengaben nicht stichhaltig entkräften.
Was bleibt? Die Individualisierung verschiedener Therapiekonzepte unter Einbeziehung auch der Familienanamnese: Sind bereits mehrere Schwestern oder die Mutter beziehungsweise Großmutter an Brustkrebs erkrankt, sollten vorbeugende Maßnahmen und in diesem Falle auch eine Zurückhaltung bei Östrogengaben eher am Platze sein, als bei „leerer“ Familienanamnese. Liegen bereits „noch gutartige“ Brustveränderungen wie etwa die Mastopathie vor, ist ebenfalls Vorsicht geboten. In solchen Fällen sind eher Antiöstrogen-Stimulationen sinnvoll. Vorteilhaft können dabei pflanzliche Substanzen eingesetzt werden, etwa auf Mönchspfefferbasis, die den Gestagenspiegel (Gelbkörperhormone) stimulieren und somit Entartungstendenzen im Brustbereich entgegenwirken.
Hier, wie in so vielen anderen medizinischen Bereichen, ist nach wie vor das differenzierte Abwägen der beste Weg. Möglicherweise hatte ein österreichischer Gynäkologe recht, als der vor einigen Jahren prophezeite, die Zukunft der Hormontherapie in den Wechseljahren bestehe nicht in der Östrogengabe, sondern in der Gestagengabe (Gelbkörperhormongabe). Man wird sehen, wie sich die Tendenzen diesbezüglich entwickeln. Wäre ja nicht das erste Mal, daß – wissenschaftlich untermauert und qualitätsgesichert – die Therapie der Wahl von heute zum Kunstfehler von morgen wird.