Polypharmazie in der Altersmedizin

Polypharmazie in der Altersmedizin

Liebe Leserin, lieber Leser,

PIM, FRIDs und Deprescribing: Diese Kürzel und Begriffe stammen nicht aus dem IT-Sektor, sondern haben vor allem etwas mit Geriatrie (Altersmedizin) zu tun.

Es geht um die neulich bereits erwähnte problematische Tatsache, dass betagten Menschen oft zu viele Medikamente verordnet werden. Das nennt man Polypharmazie, und zwar schon dann, wenn fünf oder mehr Medikamente verschrieben werden. Auf rund ein Viertel der über 70-Jährigen trifft das zu. Polypharmazie ist oft mit „funktionellen Verschlechterungen, kognitivem Abbau, Stürzen, Urininkontinenz und Mangelernährung“ gekoppelt, wie Experten einer Frankfurter Klinik berichten. Dabei spielen insbesondere „potentiell inadäquate Medikamente“ (PIM) eine kritische Rolle. Dazu zählen insbesondere Entwässerungsmittel, Opiate, NSAR (Schmerzmittel wie ASS, Diclofenac oder Ibuprofen), Beruhigungsmittel, Medikamente gegen Schwindel, Anticholinergika (unter anderem zur Behandlung der Lungenerkrankung COPD, von Parkinson und überaktiver Blase eingesetzt) und Antidiabetika.

Nach einem Sturz sollte gerade bei älteren Menschen immer die Medikation daraufhin überprüft werden, ob sogenannte „Fall Risk increasing Drugs“ (FRIDs) eingenommen werden: also Medikamente, die nachweislich das Sturzrisiko erhöhen, wie etwa Opiate. Grundsätzlich sollte bei betagten Menschen wenigstens einmal jährlich eine Bestandsaufnahme anstehen, welche Medikamente regelmäßig eingenommen werden – und anschließend die Überprüfung, ob einige möglicherweise abgesetzt werden können („deprescribing“).

Oft wurden in einer Klinik beispielsweise irgendwann einmal Magensäureblocker oder Schmerzmittel verordnet, deren Einnahme nach dem Aufenthalt ohne klare Indikation weiter fortgeführt wird. Auch die Behandlung von Nebenwirkungen des einen Medikaments durch ein weiteres sollte hinterfragt werden: Ein Beispiel dafür ist, bei anschwellenden Beinen als Nebenwirkung eines Calciumantagonisten diese mit Entwässerungsmitteln zu behandeln. Bei hoch betagten Menschen muss zudem kritisch überlegt werden, ob und in welchem Umfang z. B. Blutfettsenker oder Blutverdünner Sinn machen. Es gibt seit Jahren Erfahrungsberichte aus der Geriatrie, wonach angeblich demente Alzheimer-Patienten nach Absetzen problematischer und von der Indikation her nicht erforderlicher Präparate deutlich aufklaren.

Also: Einmal mehr helfen Urprinzipien der hippokratischen Medizin und der Naturheilkunde auch im modernen Gesundheitswesen – die „Eliminatio“, also das Weglasssen nicht unbedingt erforderlicher Maßnahmen, und das Prinzip des „nil nocere“ (nicht schaden).

Dr. med. Rainer Matejka