Liebe Leserin, lieber Leser,
hin und wieder erreichen uns Leserzuschriften, der Naturarzt solle doch weniger über Krankheiten und mehr über Gesundheit reden. Auch dem Schreiber dieses Geleitwortes wird mitunter nahegelegt, er solle doch nicht so viele spitze Pfeile abschießen, sondern häufiger positive Stimmung verbreiten. Nun gut. Vor einigen Jahren versuchte ein Zeitungsverleger, eine Zeitung ausschließlich mit positiven Meldungen auf den Markt zu bringen. Negativmeldungen und Hiobsbotschaften wurden konsequent totgeschwiegen. Das Ergebnis war: Bereits nach wenigen Wochen mußte der Vertrieb dieser Zeitschrift mangels Interesse eingestellt werden…
Analysen zeigen, daß nicht der hemmungslose Optimist, sondern der defensive Skeptiker den größten Erfolg hat. Vor allem in Krisenzeiten ist letzterer imstande, frühzeitig mögliche Gefahren zu erkennen und zu umschiffen. Persönlich bin ich der Meinung, positives Denken ist sinnvoll und anzuraten – wenn es einen realistischen Hintergrund hat. Das Schönlügen der Realität kann dagegen in den Abgrund führen. Erinnern wir uns an die hochgelobten visionären Topmanager in der Kommunikationsbranche, die eben noch für UMTS-Lizenzen horrende Summen boten. Jeder, der ein bißchen rechnen konnte, fragte sich, wie diese aufgebracht werden sollten. Das Ende ist bekannt: Die Herren sitzen heute im Gefängnis oder die Unternehmen sind pleite, und die Manager wurden im günstigsten Fall mit hohen Abfindungen zum Teufel gejagt.
Ich selbst halte es mit dem positiven Denken mal so, mal so. Beispielsweise glaube ich nicht, daß das naturheilkundliche Denken die Menschen in Zukunft derart durchdringen wird, daß es zur dominanten Leitlinie unseres Gesundheitswesens wird. Einige hoffen sogar auf einen völlig neuen Menschentypus in einem neuen Zeitalter, dem Wassermannzeitalter. Ich bin selbst Wassermann. Aber an ein neues Zeitalter in diesem Sinne glaube ich nicht. Auf den „neuen Menschen“ hatten schon die Marxisten über ein Jahrhundert vergeblich gewartet.
Auf der anderen Seite gibt es auch positive Aspekte: Die bisher noch kleine Minderheit gesundheitsbewußter Menschen wird deutlich steigen. Und zwar in dem Maße, wie die auf Tabletten und Prothesen ausgerichtete Reparaturmedizin nicht mehr finanzierbar sein wird. Das Erfreuliche dabei: Vor allem arzneifreie klassische Naturheilverfahren wie die Wassertherapie nach Kneipp und Prießnitz werden eine Renaissance erfahren und mehr und mehr in den schulmedizinischen Alltag integriert werden. Wir alle werden in vielen Bereichen des Gesundheitswesens mit deutlich weniger auskommen. Gerade durch den bewußten Verzicht öffnen sich uns neue Horizonte. Deswegen wäre mir nicht einmal vor einem etwaigen Verbot einiger naturheilkundlicher Verfahren – wie teilweise bereits in Österreich – Bange. Die Grundprinzipien der Naturheilkunde werden niemals unmodern, und niemand wird sie je abschaffen oder verbieten können!
Der Naturarzt möchte sich zukünftig nicht mehr nur auf die Vermittlung naturheilkundlicher Kenntnisse konzentrieren, sondern auch Lotse für andere Bereiche unserer Gesundheitslandschaft werden. Das ist unsere Vision in einem neuen Gesundheitswesen, welches zunehmend mehr Eigenverantwortung einfordern wird. Neulich las ich den hervorragenden Spruch: „Visionen brauchen nicht nur Flügel, sondern auch funktionsfähige Landevorrichtungen“. In diesem Sinne wollen wir beides liefern und – nach Möglichkeit – die Roll- und Startbahn gleich noch dazu.
Mit besten Grüßen