Liebe Leserin, lieber Leser,
eigentlich wollte ich in diesem Editorial etwas über den Darm schreiben. Doch ich muß gestehen, mir fällt nichts mehr dazu ein, nachdem die Tageszeitung „Die Welt“ am 26. Juli von einem sensationellen Medikament berichtete. Es heißt Reformin®. Im Beipackzettel stehen folgende Wirkungen:
• verhindert schnell und zuverlässig ein Übermaß an Transparenz;
• verschleiert Geldströme und unterstützt den Aufbau einer üppigen Verwaltungsbürokratie;
• bringt Kritiker rasch zum Schweigen.
Auf der Packung sind die Bundeskanzlerin und die Gesundheitsministerin abgebildet. Wirklich ein tolles Medikament, das in charakteristischer Weise die gerade verabschiedete Gesundheitsreform beschreibt.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal: bis zum Frühjahr wollte man „Eckpunkte“ einer Gesundheitsreform entwickeln. Diese Eckpunkte beginnen immer mit der gleichen Forderung: „Breite Schultern müssen mehr tragen als schmale Schultern“. Das klingt besonders umwerfend, wenn diese Forderung von „Gesundheitsexperten“ wie Beck, Glos oder Gabriel formuliert wird. Im Endeffekt wußte wohl in der maßgeblichen Sitzungsnacht Anfang Juli keiner so recht, wozu man sich durchringen sollte. Während wir noch mit der WM beschäftigt waren, entschied man: Kassenbeiträge sollen steigen und Nebenwirkungen von Piercing werden zukünftig nicht mehr bezahlt. Wirklich eine Jahrhundertreform, von der der Kanzleramtsminister sagt, sie sei ein großer Wurf, der mindestens 10 Jahre trage.
Es ist fast schon ein Anachronismus, daß wir an dieser Stelle immer wieder auf die Gesundheitspolitik zurückkommen. Man meint, irgendwann müßte das Thema doch einmal erledigt sein. Das ist aber nicht der Fall. Seit über 20 Jahren werden immer wieder die gleichen Diskussionen geführt und im Endeffekt wichtige Entscheidungen vertagt.
Mit der Zulassung des Medikaments Reformin® erfolgt nun ein weiterer Schritt, der das Gesundheitswesen undurchschaubarer und kostenintensiver machen wird. Analog zur Bundesagentur für Arbeit soll jetzt auch eine Art Bundesagentur für Krankenkassen eingeführt werden. Das sieht dann wahrscheinlich so aus, daß diese die Hälfte des eingehenden Geldes vernichtet, den Rest an die Kassen verteilt, die dann ihrerseits die Hälfte der Hälfte vernichtet. Beim Versicherten kommt dann höchstens noch ein Viertel an.
Was uns all diese Gesundheitsreformen lehren: Gegen Reformin®-Vergiftung hilft kein Ausleitverfahren, keine Leberentgiftung und auch nicht die in diesem Heft ausführlich beschriebene Darmsanierung. Dagegen helfen vermutlich nur noch Massenproteste. Allerdings ist es nicht damit getan, für alle alles zu fordern – wie es z. T. Ärzte- und Patientenvertreter tun. Eine sinnvolle Forderung könnte dagegen lauten: Mitbestimmung des Einzelnen am Versicherungsumfang und strikte Kostentransparenz. Keine DDR-Volkskammerwahlen bei der Krankenkassenwahl mehr, sondern echte Alternativen.
Doch ich fürchte, daß weiter gewurstelt und gejammert wird wie bisher. Ich bin gespannt, wie das Nachfolgepräparat von Reformin® heißen wird, dessen Erscheinung ich spätestens im kommenden Jahr erwarte … Vermutlich Neo-Reformin® spezial N, mit noch mehr Nebenwirkungen, ohne Hauptwirkung und noch teurer.
In diesem Sinne bin ich trotzdem mit den besten Grüßen