Schätzen, was ist – es ist alles da
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Bewusstsein

Schätzen, was ist – es ist alles da

Johanna Katzera

Der Vorschlag, eine Zeit lang nichts zu kaufen oder zu beginnen, sondern dem, was wir haben, einen anderen Wert beizumessen, ist nicht wirklich neu. Vielleicht ist es aber die Umsetzung der Idee im eigenen Leben – und die positive Veränderung, die diese mit sich bringen kann …

Die größten Ablenkungen sind meist nur einen Griff weit entfernt – verborgen in Hosen- oder Handtasche. Und manchmal sitzen sie sogar in unserem Kopf: als Gedanken, die uns fortreißen ins Gestern oder Morgen. Sie verzaubern uns mit falschen Notwendigkeiten, versprechen uns das große Glück, sobald wir endlich dieses oder jenes erreicht, gekauft oder bewältigt haben.

Luftschloss-Architekten verpassen ihr Glück

Das Glück ist an Bedingungen geknüpft. An noch mehr, an den Urlaub, an Veränderung. Und in all dem Pläneschmieden und Luftschlösserbauen übersehen wir unseren aktuellen Standort: unser Schloss, in das uns unser Lebensplan längst geführt hat. In dem wir uns eingerichtet haben, in dem wir mit lieben Menschen zusammenleben und das Leben genießen könn(t)en.

Doch durch den ewigen Blick aus unseren Fenstern auf die andere Straßenseite, verlieren wir uns selbst aus den Augen. Dann ist klar, dass wir immer mehr wollen und auch brauchen, weil wir gar nicht sehen können, was schon vorhanden ist.

Umgeben von Werbung und Einblicken auf persönliche Bühnen anderer, die immer nur die beste Performance zeigen, erscheint der Mangel manchmal größer als die Fülle. Oder zumindest die Fülle der anderen viel reicher als die eigene. Dabei suggeriert das virtuelle Schaufenstergucken eine Unzulänglichkeit, die gar nicht existiert – sondern dadurch erst entsteht. Wer seine Aufmerksamkeit ständig nach außen richtet (und so funktioniert unsere „normale“ Welt) und immer mehr will (auch so funktioniert sie), versetzt sich selbst in ein Gefühl von Mangel. Das macht unzufrieden.

Wir versinken im Zuviel. Und genau das ist das Problem. Unsere Anschaffungen, Ideen und Möglichkeiten verlangen von morgens bis abends nach unserer Aufmerksamkeit und Energie. Wir docken überall mal kurz an, aber gelangen nicht ans Ziel. Und obwohl oder wahrscheinlich weil wir manchmal all das, was wir haben, nicht genießen können, schaffen wir uns Neues an. Weil der schnelle Kauf oft einfacher ist als in der überfüllten Schublade fündig zu werden.

Das Smartphone wird zum Tor zur Welt

Mit unserem kleinen Tor zur Welt in der Hand sitzen wir auf der Couch und haben das Gefühl, dass alles möglich sei – hätte unser Tag nur so viele Stunden wie wir Ideen. Und während unser Blick und Kopf sich in der Welt hinter dem Display verlieren, übersehen wir unsere eigenen vier Wände und den Reichtum des Menschen, der sein Smartphone in den Händen hält.

Es liegt an unserer Haltung, wie reich wir uns schätzen. Ob wir erkennen, was wir haben. Ob wir nutzen, was wir besitzen. Und ob wir verstehen, wie viele Schritte wir schon gegangen sind, damit wir jetzt und hier im Hier und Jetzt stehen – es ist unsere ganz persönliche Lebensgeschichte, die sich zum Glück mit keiner anderen vergleichen lässt. Das, was ist, ist oft viel besser als wir glauben – im Nachhinein erst recht.

Was wir suchen, finden wir nicht im Außen

Wer seinen Blick nicht von Zeit zu Zeit auf sich selbst lenkt, sich selbst von innen heraus betrachtet und aus dem Innen in die Welt blickt, der wird immer mehr von außen benötigen, und sich innerlich doch nicht erfüllt fühlen. Weil das, was wir erhaschen wollen, nicht in uns hineinpasst. Weil sich das, was wir suchen, nicht im Außen versteckt. Es muss aus uns erwachsen.

Wie können wir das Vertiefen dessen, was wir haben, umsetzen?

  • Uns den ungelesenen Büchern in unseren Regalen widmen, oder ein gutes Buch zum zweiten Mal lesen.
  • Vorräte erst verbrauchen, dann etwas Neues kaufen.
  • Vergessene Kleidungsstücke tragen.
  • Leckere Gerichte aus unserer Rezeptsammlung zaubern.
  • Gesammelte Postkarten an liebe Menschen schreiben und versenden.
  • Bestehende Hobbies und Interessen vertiefen.

Wenn wir genießen statt zu kaufen, fühlen wir uns zufrieden und lebendig. Probieren wir es aus. Für eine Woche, einen Monat, ein Quartal, ein ganzes Jahr … Richten wir das äußere Suchen wieder nach innen. Tauchen ein – anstatt an einer unruhigen Oberfläche zu schwimmen.

Ein anderer Blickwinkel vermag Vieles zu ändern

Vieles ist nur eingestaubt, festgewachsen oder eingefahren. Ein anderer Blickwinkel ändert nicht die Umstände, aber vermag manchmal alles andere zu verändern. Wir haben so viel mehr, als wir meinen, und vor allem: Wir brauchen so viel weniger als wir denken. Alles, was wir in dieser Zeit nicht benutzen, dürfen wir guten Gewissens aus unserem Leben entlassen und uns über den gewonnenen Raum oder die freie Zeit freuen.