Liebe Leserin, lieber Leser,
das Lesen von Beipackzetteln ist nicht nur für die Patienten häufig ein Graus, sondern auch für uns Ärzte immer öfter Anlass für gereizte Stimmung. Das geht schon los bei der Druckqualität: oft winzig klein, eine Lupe ist mitunter noch zu wenig, ein Mikroskop müsste in manchen Fällen her. Man sucht zunächst einmal die empfohlene Dosierung: blättert, wendet, dreht den Zettel, um irgendwo an unübersichtlicher Stelle einen Hinweis zu finden. Warum stehen die Dosierungen nicht außen gut sichtbar auf der Packung?
Bei homöopathischen Komplexmitteln wurden die angegebenen Dosierungen aufgrund amtlicher Vorgaben so weit heruntergeschraubt, dass bei deren Umsetzung der Effekt des Mittels manchmal fraglich ist. Die Empfehlung des Arztes, höher zu dosieren als im Beipackzettel angegeben, wirkt auf Patienten nicht vertrauenerweckend.
Der Hauptteil eines Beipackzettels besteht heute aus einer endlosen Litanei von aufgezählten Nebenwirkungen und Gegenanzeigen. Man erfährt, was gelegentlich, selten oder sehr selten auftreten kann. Der Laie liest etwas über die Risiken der Einnahme eines Medikamentes beim Rotor-Dubin-Johnson-Syndrom, bei Histiozytosis X oder bei Morbus Duhring-Brocq. Je mehr er liest, um so mehr wird er verunsichert. Auch als Arzt frage ich mich, was diese übertriebene Auflistung aller möglichen Nebenwirkungen für einen Nutzen haben soll – außer für den Hersteller, der sich auf diese Weise in alle nur erdenkbaren Richtungen abzusichern versucht.
In der Praxis stehen doch meist nur charakteristische Nebenwirkungen einzelner Substanzgruppen im Vordergrund. So zeigen Blutdrucksenker vom Typ der ACE-Hemmer und der AT-1-Blocker regelmäßig Nebenwirkungen in Form von Reizhusten, Kehlkopfproblemen und Durchfall. Andere Nebenwirkungen treten dagegen seltener auf. Dass dies allgemeinverständlich aus den Beipackzetteln hervorginge, wird niemand ernsthaft behaupten.
Welchen Verbrauchernutzen hat es, wenn neuerdings auf Hustensäften der Hinweis warnt: „nicht für Kinder unter 12 Jahren“? – Mit der atemberaubenden Begründung, es lägen keine ausreichenden Untersuchungsergebnisse vor. Gibt es solche Untersuchungen denn etwa für 70-jährige (nein) oder kommt es bei denen nicht mehr so drauf an? Was soll, bitte schön, passieren, wenn ein 7-jähriges Kind für einige Tage Spitzwegerichsaft nimmt – ein altbewährtes Hausmittel gerade für Kinder? Glaubt man im Ernst, daraus resultierten bleibende Schäden?
Kurzum: Wenn das so weitergeht, reicht auch ein Standardbeipackzettel für alle Medikamente. Darin kann der gesamte Nebenwirkungshorror von Hirnerweichung bis Impotenz aufgeführt werden. Die in der Praxis wirklich wichtigen Dinge sollten gesondert hervorgehoben werden. Den Herstellern möchte man zurufen: Macht die Beipackzettel kürzer und vor allen Dingen lesbar und verständlich! Allerdings folgen sie damit teilweise völlig absurden behördlichen Vorgaben. Was angeblich dem Patienten nutzen soll, führt häufig nur zu seiner Verunsicherung und schadet der vielzitierten Compliance, also dem „Mitspielen“ und der „Therapietreue“ des Patienten.
Mit den besten Grüßen