Die Welt ist schnell geworden. Geduld klingt wie ein Wort vergangener Zeiten – einfach nicht passend für unseren Alltag. Alles soll schnell gehen! Doch Veränderungen und Beziehungen zwischen Menschen brauchen Zeit und Raum – manchmal mehrere Anläufe. Das sollten wir verinnerlichen, denn sonst bezahlen wir einen hohen Preis.
Geduld befreit uns im Umgang mit uns selbst und anderen. Wer nicht geduldig sein kann, ist jederzeit Opfer seiner Reaktionen auf das, was geschieht. Dann sind wir im Unfrieden mit uns selbst und verpassen das Leben, da wir ständig dem nächsten Moment entgegenhetzen. Die Fähigkeit oder Bereitschaft, etwas ruhig und beherrscht abzuwarten oder zu ertragen, ohne dabei Ärger oder Zorn zu entwickeln, wurde früher auch als Langmut bezeichnet. Das richtige Maß an Geduld bedeutet aber nicht, unbeweglich zu sein. Geduld heißt, akzeptieren zu können, dass Veränderungen so lange dauern, wie sie dauern. Egal, wie sehr wir etwas wollen, innere Gesetze laufen nicht so, wie unser Kopf es sich vorgestellt hat.
Geduld im Umgang mit Mitmenschen ist edel und selten. Ob beruflich oder im Privatleben – sie steigert Zufriedenheit, innere Stärke, Produktivität, Konzentration und Gesundheit. Wir stehen über den Dingen und treffen bessere Entscheidungen, weil wir uns nicht unter Druck setzen lassen und besonnen aus einer anderen Perspektive heraus Erkenntnisse gewinnen können.
Geduld zeigt sich darin, Mitmenschen und deren Sichtweise so anzunehmen, wie sie sind, und sie ihren eigenen Weg gehen und entwickeln zu lassen. Es fällt uns oft schwer, andere Horizonte zu respektieren und Menschen ihre eigenen Fehler machen zu lassen – insbesondere dann, wenn sie uns nahestehen. Ungeduld kann jedoch viel zerstören. Um Geduld als Fähigkeit entwickeln zu können, müssen wir verstehen, dass Gelassenheit kein Gottesgeschenk ist. Sie braucht unser aktives Mittun, weil sich unser Verstand („Ego“) von den intensiven Gefühlen, die durch Ärger, Stress oder Widerstand erzeugt werden, nährt und bestätigt. Beobachten wir unsere Gedanken, Gefühle und Reaktionen auf gewisse Personen oder Umstände, die bei uns Ungeduld auslösen. Was ist es, was unser Ego aktiviert? Was genau lehnen wir ab? Was ist spürbar? Wozu aktiviert uns die Ungeduld? Was geschieht, wenn wir diesem Impuls nicht nachgeben? Was passiert, wenn wir ihm nachgehen?
Die Abneigung gegen das Unangenehme oder Ungewollte führt nicht dazu, dass dieser Zustand sich ändert, sondern hilft ausschließlich unserem Ego, sein Ich-Gefühl zu verstärken. Das Ego will immer schon woanders sein. Es strebt ständig weg von der Gegenwart, und wir sind Spielball seiner geistigen Hektik, ohne es zu bemerken. Unser digitaler Alltag verstärkt das natürlich noch, da der ständige Gebrauch von Medien den inneren Lärm und das Verlangen nach „Multitasking“ noch verstärkt. Lösen wir uns von der Haltung, dass alle Umstände oder Menschen unserer Erwartungshaltung entsprechen müssen. Lassen wir uns nicht provozieren, sondern überwinden die Wut und Gereiztheit. Lernen wir, Ungewissheit auszuhalten und nicht vorschnell zu handeln. Seien wir flexibel und bereit, immer wieder etwas Neues zu lernen.
Besonders herausfordernd ist das, wenn wir eine unangenehme Lebenssituation erfahren. Es ist nachvollziehbar, dass unser Verstand es lieber wieder angenehmer hätte und sich „unfair“ vom Leben behandelt fühlt. Und doch sind Geduld und Akzeptanz die einzige Möglichkeit, wieder in Bewegung zu kommen und sich zu befreien.
Weiterführende Literatur
Brigitta C. Kemner,
Das Wellenmut-Prinzip. Den Höhen und Tiefen des Lebens frei und erfüllt begegnen,
Business Village, Göttingen, 2017
Autorin
Brigitta Christina Kemner ist Personal Coach und Business Coach
und begleitet seit 2003 Führungskräfte, Unternehmer, Leistungsträger
und Privatpersonen bei persönlichen und beruflichen Veränderungen.
www.brigitta-kemner.com/