Liebe Leserin, lieber Leser,
allerorten ist zu hören, die Welt habe sich seit dem 11. September verändert. Schaltet man den Fernseher ein, diskutieren überall sogenannte Experten, warum, weshalb, wieso das Unvorstellbare geschehen konnte, und verfügen selbstverständlich über zahlreiche Rezepte, was jetzt zu tun sei und was nicht.
Kein Zweifel, es hat sich etwas verändert, und zwar unter dem Strich nicht einmal zum Schlechten. Über Jahre und Jahrzehnte waren das öffentliche Leben und weite Teile der Politik hierzulande von einem beträchtlichen Maß an Naivität und Realitätsferne gekennzeichnet, beispielsweise in der Gesundheits- und Rentenpolitik sowie der Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik, bei der pathetische Parolen von Hypertoleranz und Weltoffenheit gegenüber allem und jedem wie eine Monstranz herumgetragen wurden.
Plötzlich wird zu Wachsamkeit und, wo nötig, auch zu Distanz aufgefordert. Auf einmal wird die Erfahrung gemacht, daß Werte der Zivilisation eben nicht naturgegeben sind, sondern verteidigt und immer wieder neu erkämpft werden müssen. Mit der Gesundheit verhält es sich ähnlich: Auch sie fällt nicht einfach vom Himmel, sondern muß mitunter immer wieder neu erarbeitet werden.
Reflektieren wir den Bewußtseinswandel seit September am Beispiel der Naturheilkunde, kann ich es allerdings drehen und wenden, wie ich will: Ich erkenne kein Szenario, das einem gesundheitsbewußten Denken in die Hände spielt. Im Gegenteil: Aus Amerika wird berichtet, es sei nicht mehr „in“, low-calorie- und non-fat-Nahrungsmittel zu konsumieren, sondern endlich richtig zuzuschlagen, da niemand weiß, wie lange das noch möglich ist. Auf den ersten Blick keine gute Perspektive für Anhänger einer gesundheitsbewußten Lebensweise.
Bei Milzbrandinfektionen kann die Naturheilkunde höchstens prophylaktisch helfen: Je besser die Immunitätslage, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, bei Kontakt mit Milzbrandsporen wirklich eine Infektion zu bekommen. Alle Maßnahmen, die das Immunsystem stärken, wie etwa Kneipp-Therapie, Sauna, Vollwertkost und die Einnahme immunstimulierender Heilpflanzen, könnten also vielleicht ein Stück weit vorbeugen helfen. Absolute Sicherheit schaffen sie freilich nicht.
Krisen haben es an sich, die wirklich wichtigen Dinge, die zuvor nicht erkannt oder jahrelang in Diskussionszirkeln zerredet und verhindert wurden, wieder in das Bewußtsein treten zu lassen. Dauerdiskussionen über Renten, Betriebsverfassungsgesetz, Steuerreförm-chen-Versuche und Referenten-Entwürfe, die das öffentliche Leben in unserer Gesellschaft jahrelang bestimmten und demotivierten, zeigen Realitätsferne und erweisen sich angesichts grundlegenderer Fragen plötzlich als Marginalien. Doch anstelle von hysterischem Angstgeschrei sind jetzt Courage und die Fähigkeit nötig, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
So gesehen wäre zu hoffen, daß immer mehr Menschen erkennen, daß nicht nur die anonyme Instanz „Staat“ gefordert ist, sondern jeder einzelne seinen Beitrag im Sinne eines ganzheitlichen Denkansatzes zu erbringen hat.
Gerade wurde der Wacholder zum Baum des Jahres 2002 gewählt. Er soll bis zu 5000 Jahre alt werden und obendrein sehr widerstandsfähig gegenüber Schädlingen und Umweltgiften aller Art sein. Standhaft also auch in schwierigen Zeiten, genau das, worauf es heute ankommt. Mögen andere ihr Apfelbäumchen pflanzen: Ich habe im Herbst zwei Raketenwacholder vom Typ Juniperus virginalis, „blue arrow“, gepflanzt.
Mit besten Wünschen für das Jahr 2002