Während allerorten Achtsamkeit gepredigt wird, praktiziert er sie an einem sehr besonderen Ort: Mattias Eliasson bereist und erkundet das „stille Land“ – die Moore Nordschwedens. Seine intensiven Naturbetrachtungen beeindrucken durch Klarheit und Verbundenheit.
Einsam steht ein Baum in einem Moor, in einem Land, wo die Berge zum Westen hin blau werden. Er ist nicht besonders groß, kleiner, als man es von einem einsamen Baum an einem so abgeschiedenen Ort erwarten würde. Vermutlich ist es eine Kiefer, und sie macht einen merkwürdigen Eindruck, wie eine alte Dame, die in Ruhe gelassen werden möchte, obwohl sie schon lange tot ist. Vielleicht schon seit zwei- oder dreihundert Jahren. Dort, in ihrem groben, grauen und vom Wind zerzausten Körper inmitten des Seggenmoors, das laut Karte den Vornamen Björn trägt, hat der Schwarzspecht sich erst vor Kurzem und unerwartet sein Nest geschnitzt. Der Haufen Späne unter dem Baum ist verräterisch, überraschend weiß und riecht stark nach Terpentin, scharf und rein.
Was für ein Kontrast zu dem grauen, verkrümmten und gealterten, ewig gleichen Äußeren der Baumdame! Die Späne liegen wie ein kleiner Haufen Anzündholz auf dem immer feuchten Torfboden, durch den die einsame Dame in stillen und langsamen Jahren emporgewachsen ist, in stetigem und anhaltendem Mangel an sauerstoff- und nahrungsreicher Erde.
Das Spechtweibchen im Loch bekam es bei meinem Eintreffen mit der Angst zu tun und flog mit warnendem Pfeifen in hohem Bogen auf. Bestimmt war sie seit geraumer Zeit fleißig mit ihrer Arbeit beschäftigt. Bis zu einem ganzen Meter kann sie sich im Stamm nach unten gekämpft haben, jeden Tag einige Zentimeter. Auf irgendeine Weise benötigt hier alles mehr Zeit. Gerade heute scheint sogar alles stillzustehen … Auf Schwedisch heißt der Schwarzspecht spillkråka, der Wortteil spill ist verwandt mit den schwedischen Wörtern für schneiden und schnitzen. Kråka heißt Krähe, aber dieser Vogel ist gar keine Krähe, sondern unser größter europäischer Specht. Nun hat Frau Specht ihre Wahl getroffen. In diesem Baum will sie ihre Jungen aufziehen. Und das Björnmoor wird ihr erster Kontakt zu einer fremden Welt sein, die kalt und weit ist.
In direkter Nähe des Baus gibt es nicht viel. Eine Pfütze aus braun-schwarzem Wasser kräuselt sich leise. Lässt einen Kellergeruch aufsteigen, einen Geruch, eingeschlossen in Feuchtigkeit und Dunkelheit.
Ein vergessener, schiefer alter Hochsitz mit einem kaputten kleinen Blechschild: Nr. 14. Hier werden sie, wie wir alle, in die Welt gesetzt und bekommen den Ort zugewiesen, an dem sie aufwachsen werden. Den Ort, zu dem sie eine besondere Beziehung haben werden. Aber ehe der Herbst kommt, müssen diese neuen kleinen Geschöpfe die Kunst des Fliegens und Laufens erlernt haben, sie müssen Insekten suchen, wie ihre Mutter Holz zerhacken und leise ihre trostlosen, einsamen Lieder pfeifen können.
Wenn man sich umschaut, bekommt man das Gefühl, dass es hier so vieles gibt, das nicht passiert. Zugleich aber fehlt hier auch nichts. Der Wald dort hinten vor den blauen Bergen und die umgebrochene, bebaute Kulturlandschaft dazwischen wirken um so vieles veränderlicher. Dort, wo die Stürme wüten und toben und die Brände auf ihrem Weg alles verschlingen. Dort tut auch der Mensch das, was man ihm von klein auf über effektive erd-, wald-, wasser- und mineralienverbrauchende Methoden beigebracht hat. Die Moore, dieses hier und viele andere, empfinden wir in ihrem ewigkeitsähnlichen Zustand statischer. Als wären sie eher mit den Ozeanen, dem Hochgebirge oder den fernen, völlig verdorrten Wüsten verwandt. Sie gehören ihrer eigenen Art an. Von Natur aus unveränderlich.
Und auch ich gehöre nicht hierher, ich bin nur zu Besuch.
Weiterführende Literatur
Eliasson, Mattias: Moor. Stilles Land. European Essays on Landscape and Nature, Hamburg: KJM Buchverlag 2024
Autor
Mattias Eliasson, lebt in Småland/Südschweden und besitzt eine Hütte im Moor in Mittelschweden. Er ist Autor, Fotograf, Filmer und Holzskulpteur und reist zu Mooren in Mittel- und Nordschweden, die es in dieser Form nur in Nordeuropa gibt. Immer wieder „begegnet“ er Carl von Linné, der fast 300 Jahre früher die Wildnis von Laponia erforschte.